Es gibt politische Parolen, die wie unterm Brennglas das ganze Elend unserer Republik deutlich hervortreten lassen. Sie sind ein Kondensat, ein Teil für das Ganze eines gesellschaftlichen Zerwürfnisses, das unsere Nation derzeit prägt wie kaum etwas anderes. Eines dieser Schlagwörter findet man auf den sogenannten Demokratierettungs-, Vielfalts- und Gegen-Rechts-Demos, bei denen sich die linke Blase selbst feiert; das andere stammt aus einer Rede von Björn Höcke und ist, seit sie gehalten wurde, das Hauptbelastungsindiz für Höckes angeblich faschistische Gesinnung.
Was beide einer exemplarischen Betrachtung wert macht, ist ihre Ambiguität, die zumindest ihre Kritiker für voll und ganz beabsichtigt und somit als gezielte Provokation, als Test für die Grenzen des Sagbaren, auffassen. Die Rede ist von „Nazis töten“ (vereinzelt auch: „AfDler töten“) und der Bezeichnung des Holocaust-Mahnmals als „Denkmal der Schande“.
Die Ambiguität, die zu den rhetorischen Figuren gezählt wird und somit auch als geschickter Kunstgriff gelten kann, ergibt sich aus einer grammatikalisch bedingten Uneindeutigkeit: „Nazis töten“ kann als Aussagesatz und somit als Aussage über die historisch erwiesene Vernichtungspolitik des NS-Regimes verstanden werden, aber auch – in diesem Fall ist „töten“ nicht als Verb in der dritten Person Plural, sondern als imperativischer Infinitiv wie in „Vor Gebrauch schütteln“ zu lesen – als Aufforderung, „Nazis“ zu töten.
Im Zweifel darf nur die unverfängliche Lesart unterstellt werden
Bei dem inkriminierten Höcke-Ausspruch konkurrieren die Lesarten von Genitivus subiectivus („Das Denkmal als Schande“) und Genitivus obiectivus („Das Denkmal, das an eine Schande erinnern soll“) miteinander. Die Aufgabe der Medien als Instanz der Vermittlung zwischen dem Emittenten einer Botschaft und seinem Adressaten, der breiten Öffentlichkeit, wäre selbstverständlich, sich mit der nötigen kritischen Distanz und Sorgfalt mit beiden Lesarten zu befassen und auf diese Doppeldeutigkeit hinzuweisen.
Und natürlich gilt das, worauf sich in einem Rechtsstaat eigentlich jeder verlassen können sollte: in dubio pro reo, also: Im Zweifel darf nur die weniger verfängliche Lesart unterstellt werden. An „Nazis töten“ haben die deutschen Leitmedien daher nicht Anstoß genommen. Und nach dem Welt-Gespräch zwischen Björn Höcke und Mario Voigt haben öffentlich-rechtliche Sendeanstalten vereinzelt auf die dort erfolgte Klarstellung (die Lesart als Genitivus obiectivus) rekurriert – immerhin.
Unterbleibt dies, befinden wir uns im Bereich von Agitation und Propaganda: Was immer dem politischen Gegner zur Schädigung seines Rufes unterstellt werden kann, ist genehm. Alles – auch Redlichkeit und Objektivität – wird dem Ziel untergeordnet, den Feind zu besiegen. Das war auch die Tendenz von Georg Restles wegweisendem „Plädoyer für einen werteorientierten Journalismus“, einer Art Programmschrift für den umstrittenen Haltungsjournalismus der Öffentlich-Rechtlichen, veröffentlicht 2018 im Magazin von Restles Arbeitgeber, dem WDR.
Lisa Paus reagiert mit hämischen Zwischenrufen
Auch die ARD-Tagesthemen durfte der „Monitor“-Chef als Propaganda-Plattform für seine Umwertung der Pressekodex-Werte nutzen. „Andere [Journalisten] glauben, es gehöre zur Ausgewogenheit, daß auch den Feinden der Freiheit mehr und mehr Sendefläche eingeräumt werden muß. Nein, das muß es nicht“, kleidete Restle am 1. Mai 2019 in einem Anti-Rechts-Kommentar den Dammbruch in wohlfeile Worte und lieferte damit die Blaupause für das seither gängige „Framing“ von „den demokratischen Parteien“ auf der einen und den „Demokratiefeinden“ auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Restles Kommentar war nichts anderes als eine Feindmarkierung der AfD.
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Als am 31. Januar dieses Jahres der langjährige ZDF-Sportreporter Marcel Reif, Sohn eines Holocaust-Überlebenden, seine denkwürdige Rede zur Erinnerung an das Grauen von Auschwitz hielt, war er sich einer ihm wohlgesonnenen Öffentlichkeit sicher. Die Rede gipfelte in einem Ausspruch seines Vaters, den Worten: „Sei ein Mensch!“, einem Appell an Mitmenschlichkeit und Empathie als Weg, das Grauen der Shoah zu einem unwiederholbaren Ereignis zu machen.
Als am 1. Oktober 2020 der ehemalige CDU-Politiker Martin Hohmann auf dem Höhepunkt der Covid-Krise ebenfalls an Mitmenschlichkeit und „Empathie für das Leben“ appellierte, in einer bewegenden Rede zum Paragraphen 218 Strafgesetzbuch, da quittierten eine Reihe von Abgeordneten, allen voran die jetzige Familienministerin Lisa Paus, dies mit hämischen Zwischenrufen. Wie Marcel Reif setzte auch Martin Hohmann nicht allein auf die Kraft des guten Arguments, sondern vor allem auf die Kraft eines persönlich gefärbten Erlebnisberichts. Er schilderte eine Begegnung mit seiner dreijährigen Enkelin, um der von ihm empfundenen „tiefen, kreatürlichen Dankbarkeit“ für dieses nachrückende Leben Ausdruck zu verleihen.
Reif hätte für die gleiche Äußerung Applaus bekommen
Der Unterschied zwischen Martin Hohmann und Marcel Reif ist selbstverständlich neben der Tatsache, daß dieser als Gastredner im Parlament, jener in seiner Eigenschaft als Abgeordneter der AfD-Fraktion sprach, die Hermeneutik des Verdachts, der die Rezeption der Ansprache des bei der CDU in Ungnade Gefallenen von Anfang an ausgesetzt war, während Marcel Reif eine wohlwollende Aufnahme sicher war. Hätte Reif in seiner Rede erwähnt, daß die Bundesrepublik der nationalen Schande der Judenvernichtung ein Denkmal errichtet hat, er hätte Applaus bekommen.
Hermeneutik, die literaturwissenschaftliche Disziplin der Textauslegung, dient dazu, sprachlichen Äußerungen auf den Grund zu gehen, sie auf ihren tatsächlichen Gehalt zu prüfen und auch das zum Vorschein zu bringen, was nicht explizit gesagt wird, im Text aber dennoch enthalten sein könnte. Eine Hermeneutik des Verdachts geht davon aus, daß dem Emittenten einer sprachlichen Äußerung nicht vorurteilsfrei zu begegnen ist, daß gewissermaßen das Vorurteil ein legitimer Bestandteil des Instrumentariums ist, mit dem man der Äußerung oder dem Text begegnet.
Dieses Vorurteil beruht allerdings zumeist auf politischen Überzeugungen und ist nicht in Stein gemeißelt. Was bedeutet es für die politische Kultur einer Demokratie, wenn sich ein Modus des permanenten Mißtrauens in die politische Auseinandersetzung einschleicht und die Medien, statt ihn zu entlarven, sich diesen selbst zu eigen machen?
Keine Demokratie kann so überleben
Ideengeschichtlich läßt sich dieses Phänomen einbetten in das Freund-Feind-Schema, das Carl Schmitt in „Der Begriff des Politischen“ (1932) erläutert und dabei auch auf den Ursprung der „Polemik“ (von griechisch polémos = Krieg) verwiesen hat – eine Form der politischen Auseinandersetzung, bei der die Verletzung des Gegners in höherem Interesse liegt als dessen Würdigung als eines grundsätzlich ebenbürtigen Kontrahenten. Er ist, so Schmitt, der existentiell Andere. Als „intensivste Feindschaft“ im Widerstreit der politischen Gegner bezeichnet Carl Schmitt die Bereitschaft zum Kampf, welche in der „physischen Tötung“ des Feindes gipfelt: „Nazis töten“.
Mit Carl Schmitt erklärt sich also vieles von dem, was bei „Kampf gegen Rechts“-Aufmärschen auf Plakaten und Spruchbändern regelmäßig zu lesen ist. So erklären sich die „Hätte man euch abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben!“-Sprechchöre der Autonomen-Gruppen am Rande des alljährlichen (dieses Jahr am 21. September in Berlin und Köln stattfindenden) Marsches für das Leben, für den Martin Hohmann eine Lanze brechen wollte.
So erklärt sich aber auch das zunehmend aggressive, undifferenzierte „Lügenpresse“- und „Ausländer raus!“-Krakeele der Gegenseite: Der Feind muß niedergeschrien, soll bis aufs Blut bekämpft werden, darf auf keine Mäßigung und schon gar nicht auf Würdigung seines politischen Anliegens hoffen. Er ist umfassend und ohne Aussicht auf Kompromiß oder Versöhnung einem feindlichen Lager zuzurechnen, dem man alles zutraut und von dem man nur das Schlimmste erwarten kann, wenn er tatsächlich an die Schalthebel der Macht gelangt. Und im schlimmsten Fall – Beispiel Nancy Faeser – behält derjenige, der das befürchtet, sogar recht. Keine Demokratie hat unter solchen Bedingungen gute Überlebenschancen.
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Quellenlink : Zeitgeist: Zeitgeist Wie die Hermeneutik des Verdachts der Demokratie schadet