Weshalb die westliche Zivilisation auf der Idee des Privateigentums aufbaut: Weshalb die westliche Zivilisation auf der Idee des Privateigentums aufbaut Konservative Klassiker: Richard Weaver über das Anrecht der Metaphysik

In der Artikelreihe „Vergessene Klassiker konservativer Zeitkritik“ stellt die JUNGE FREIHEIT fremdsprachige Grundlagentexte des Konservatismus vor. Der erste Teil präsentierte den amerikanischen Philosophen Russel Kirk und seine konservative Geschichtsphilosophie. Der zweite Teil der Serie widmet sich Richard M. Weaver (1910–1963).

Der Literaturwissenschaftler verbrachte seine akademische Karriere damit, das kulturelle Erbe des amerikanischen Südens freizulegen. In seiner 1940 veröffentlichten Dissertationsschrift „The Southern Tradition at Bay“ lieferte Weaver eine umfassende Ideengeschichte dieser wie er schreibt „letzten nicht-materialistischen Zivilisation der westlichen Welt“

Aus der Arbeit flossen dem Publizisten Einsichten, die er 1948 in seinem Hauptwerk, „Ideas Have Consequences“ (Chicago University Press), zusammenfaßte. Dort vertritt Weaver die These, daß die westliche Zivilisation am Verlust höherer Werte zerbreche. Für ihn ist das Privateigentum der letzte Rückverweis auf dieses metaphysische Erbe. Trotz seiner vermeintlichen Profanität erinnere es den Menschen an ewige Gesetze und Ideale – etwa, wenn es darum gehe, was wem gehöre.

Mit dieser Argumentation versuchte Weaver, den Konservatismus der Nachkriegszeit in eine Frontstellung zum Sozialismus der Sowjetunion, aber auch zum Finanzkapitalismus der Vereinigten Staaten zu manövrieren. Die JUNGE FREIHEIT hat erstmals Passagen des Werkes ins Deutsche übertragen.

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Die Menschheit stolpert Schritt für Schritt immer weiter ins Chaos. Beginnend mit einem ersten kleinen Nachgeben in Richtung Materialismus, werden wir Zeuge einer ganzen Reihe von Ereignissen, an deren Ende Selbstsucht und gesellschaftliche Anarchie auf uns warten. Allerdings halten wir die Katastrophe noch für abwendbar – es gibt Mittel und Wege der Rettung.

Noch bevor wir uns aber mit irgendwelchen Reformideen vorwagen, wollen wir den Leser darum bitten, zwei Annahmen mit uns zu teilen, nämlich, daß der Mensch Dinge in der Welt wissen und daß er sie wollen kann. Manche werden einwerfen, daß diese Voraussetzungen zweifelhaft erscheinen. Doch ohne sie gibt es keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wir vertrauen außerdem darauf, daß vor uns schon viele Denker von ähnlichen Prämissen ausgegangen sind, um Vorschläge zu machen.

Wie den historischen Niedergang begreifen?

Die lange Liste von Mißständen, mit denen wir es zu tun haben, ergibt sich aus einer verkehrten Sicht auf die Welt. Diese falsche Perspektive führt dazu, daß wir die Gegenwart, in der wir leben, nicht mehr verstehen können. Wohl zu Recht wurde in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, daß sich das Römische Reich vierhundert Jahre lang im Niedergang befand, bevor die Römer sich über ihren Zustand klar wurden.

Die Theorie der Whigs [liberale Partei aus Großbritannien zwischen dem 17. und 19 Jahrhundert, Gegenspieler der konservativen „Tories“ – die Redaktion], der zufolge der jüngste Punkt der Menschheitsgeschichte stets auch ihren weitesten Fortschritt darstelle, erweist sich vor diesem Hintergrund als Mangel an Urteilsvermögen. Erst wenn Menschen sich eingestehen, daß sie in ihrem erbärmlichen Zustand all ihre Ideale verraten haben, sind die ersten Hindernisse auf dem Weg aus dem Elend beiseite geräumt.

Trotzdem müssen wir der Versuchung widerstehen, Tugenden wie diese historische Bescheidenheit ohne Umwege zu lehren. Klüger ist es, zum Zwecke der Erziehung die „unermeßlich hintergründigen Kräfte“ zu finden, von denen Ortega y Gasset immer wieder in seinen Schriften spricht. Unsere Pläne dürfen nicht weniger streng durchdacht sein als die der zahllosen Ideologien, die die Massen in Materialismus und Pragmatismus einlullen. Der gute Wille allein reicht nicht aus. Ohne metaphysische Begründung nützt er nichts.

Ohne Dualismus keine Rettung

Der erste Schritt muß es sein, von neuem einen Keil zwischen die materielle Welt und die des Geistes zu treiben. Dieser Schritt ist für uns von grundlegender Bedeutung, denn ohne den dadurch entstehenden Dualismus wird unsere Sache niemals Auftrieb bekommen. Zu dieser Schlußfolgerung kommt meines Erachtens zwangsweise, wer unseren Gedankengang nachvollzieht. Daß es neben dem Sein auch noch das Sollen gibt, daß die Welt der Erscheinungen nicht all das erschöpft, was existiert – diese Annahmen sind im Grunde so eng mit dem Begriff des Fortschritts verflochten, daß es überflüssig erscheinen könnte, noch einmal daran zu erinnern.

Der Spalt, den wir mit unserer Trennung von Geist und Materie eröffnet haben, beginnt schon mit dem einfachen Hinweis darauf, daß das Wirkliche nur deshalb, weil es wirklich ist, nicht auch schon vernünftig ist. Wir beharren mit anderen Worten darauf, daß das bloße Recht stets auch gerecht sein muß. Auf diesen Felsen metaphysischer Gerechtigkeit wollen wir unsere Burg bauen. Daß der Gedanke nicht wahr und die Tat nicht gut ist, solange sie nicht mit einem abstrakten Ideal übereinstimmen – sobald wir dieser Idee zum Durchbruch verhelfen, sind der Utilitarismus und der Pragmatismus geschlagen. Sie ist es, die letztlich jeder Moral und jeder Erkenntnis als Maßstab dient.

Wenn wir mit dieser Idee, daß unser Wissen immer auf die Wahrheit verpflichtet ist, durchdringen, dann erreichen wir womöglich sogar, daß die Menschen wieder aus ihren Erfahrungen lernen können – eine Möglichkeit, die sowohl der Relativismus als auch der Skeptizismus verneinen. Die Aussicht, endlich wieder in einer Welt der metaphysischen Gewißheiten zu leben – welche Erleichterung muß diese Erwartung jetzt schon für all diejenigen bereithalten, die an den Sophismen der Relativisten verzweifelt sind!

Das zwielichtige Erbe der Bourgeoisie

Dem Umstand geschuldet, daß unser metaphysisches Programm auch praktischen Niederschlag finden muß, sollten wir uns nun nach einer geeigneten Position umsehen, um dort Stellung zu beziehen. Dabei müssen wir der Tatsache ins Auge blicken, daß sich der Konservatismus seit 400 Jahren auf dem Rückzug befindet, ohne dabei doch das Schlachtfeld gänzlich geräumt zu haben. Eine letzte Nische ist uns erhalten geblieben.

Wenn wir die Szenerie danach absuchen, was der reißende Sturm des Utilitarismus noch nicht dem Erdboden gleichgemacht hat, so finden wir eine Institution, die bei aller Anfechtung doch noch für jedermann sichtbar aufrecht steht – das Recht auf Privateigentum, welches das letzte Anrecht ist, das die Metaphysik auf uns Menschen erheben kann. Die Verpflichtung des Glaubens, die Sonderrechte von Geschlecht und Beruf, all das wurde längst vom Materialismus hinfortgeschwemmt. Doch das Recht des Menschen, Dinge sein eigen zu nennen, ist weitgehend von dieser Flut verschont geblieben.

Das metaphysische Recht der Religion erlosch mit der Reformation. Weitere transzendente Rechtstitel sind vor dem Appetit der Massen nach und nach erodiert. Doch gerade der Umstand, daß das Bürgertum historisch durch seinen Besitz an die Schalthebel der Macht gelangte, verhinderte, daß es das Recht auf Eigentum genauso abschaffte wie viele andere Privilegien.

Das Privateigentum wurde durch die von der Bourgeoisie getragene Französische Revolution zu einem absolut geltenden Menschenrecht erklärt. In den Verfassungsentwürfen des 19. Jahrhunderts beansprucht es kategorisch Geltung – die Verfassung der Vereinigten Staaten zollt ihm uneingeschränkte Anerkennung.

Das Anrecht der Metaphysik

Heutzutage, wo diese Mittelschicht unter Druck steht, verliert auch das Privateigentum an Parteigängern. Noch befindet es sich aber mitten unter uns. Selbst wenn wir nicht auf seine zwielichtige bourgeoise Herkunft stolz sind, haben wir mit ihm ein Werkzeug bei der Hand. Sein Überleben mag historischen Zufällen geschuldet sein. Dennoch drückt es eine ungebrochen lebendige Idee aus. Es ist die einzig noch verbliebene Sache auf der Welt, die uns daran erinnert, daß das Gute unabhängig von seinem Nutzen für uns existiert.

Wir bezeichnen das Privateigentum als metaphysisch, weil es nicht davon abhängt, ob wir einen gesellschaftlichen Nutzen damit verbinden oder nicht. Eigentum beruht auf der Idee der Eigenheit des Eigenen, lateinisch proprietas. Das Wort selbst unterstellt die Gleichheit von Besitz und Eigentümer. Der große Wert daran, daß etwas Privateigentum ist, liegt in dem Fakt, daß es dadurch der Willkür entzogen wird.

Die Eigenheit des Eigentums instituiert ein Dogma; alle Diskussionen enden dort. Ist es nicht tröstend, um Rechte zu wissen, die wir nicht ständig vor intellektuellen Sophistereien oder dem Auf und Ab der öffentlichen Meinung in Schutz nehmen müssen? Das Recht, sein Eigentum benutzen zu dürfen, ist vor diesem Hintergrund ein wahres Kleinod. Als selbsterklärend mußte es sich bis vor kurzem noch nicht rechtfertigen, ob und wie es dem Staatswesen „dient“.

Konservatismus und Kapitalismus

Gleichzeitig will ich betonen, daß dieses letzte Anrecht der Metaphysik auf uns Menschen sich nicht für die Verteidigung des Finanzkapitalismus mißbrauchen läßt. Das Eigentum, wie es sich in jener Gesellschaftsordnung vorfindet, steht vielmehr im direkten Widerspruch zum eigentlichen Sinn des Wortes proprietas. Die fatale Anwendung, die das Finanzkapital von jeglichem Besitz macht, um den Erfordernissen des Marktes und der Technologie zu genügen, hat das Recht auf Eigentum mehr in Frage gestellt als jede andere Entwicklung jüngeren Datums.

Das rein abstrakte Eigentum an Aktien, Bonds oder Firmen, deren Wertschöpfung niemand jemals wirklich verstanden hat, zerstört das Verhältnis des Menschen zu seiner Substanz, ohne die auch seine metaphysischen Güter ihren Sinn verlieren. Eigentum in diesem Sinne verwandelt sich in eine pure Fiktion, die zwar Ausbeutung stützt, nicht aber die Würde menschlicher Arbeit trägt.

Nicht nur das. Die Konzentration immer größerer Reichtümer in anonymer Hand ist eine anhaltende Einladung zu stets neuen Eingriffen des Staates in die Besitzstände seiner Bürger. Sobald der Wohlstand nämlich so straff organisiert auftritt wie heutzutage, ist es nur noch ein kleiner Schritt, ihn der öffentlichen Kontrolle zu unterstellen. Der Satz, daß Monopole mit der Zeit dazu neigen, sich in Staatsbetriebe umzuwandeln, gehört nicht umsonst ins Reich der Binsenweisheiten. Sobald wir diese noch sehr oberflächliche Beobachtung nur ein kleines Stückchen weitertreiben, stellen wir fest, daß sich in den meisten Großbetrieben bereits Bürokratien entwickelt haben, die denen der modernen Staatsapparate ähneln.

Die Wiederherstellung des Eigentums

Die zunehmende Rationalisierung der Produktion leistet so gerade den Mißständen Vorschub, die wir überwinden wollen. Dadurch, daß das Eigentum an die Börse geht, wird dem Besitz ein besonderes Eigenleben eingehaucht. Er dient nur noch abstrakten Zwecken, was die Verantwortung der Aktieninhaber auf null drückt. Wer das Privateigentum ehrt, muß deshalb kritisieren, was heute im Namen des Marktes geschieht, da sowohl die moderne Firmenbürokratie als auch die Konzentration des Kapitals dem Privateigentum seinen privaten Charakter abstreifen.

Die Lösung für dieses Problem besteht in kleinen, unter vielen verschiedenen Inhabern aufgeteilten Besitzformen. Diese können als freie Bauernhöfe, als städtische Kleinbetriebe, aber auch einfach als Hauseigentümer auftreten. In all diesen Fällen ist die ursprüngliche Bedeutung des Eigentums im Sinne der proprietas wiederhergestellt. Besitz wie dieser ermöglicht es dem Menschen, frei über seine Güter zu verfügen – was eine Voraussetzung darstellt, um ein Leben als vollendete Persönlichkeit zu führen. Das Fehlen dieser Freiheit ist der Grund, weshalb wir den Monopolkapitalismus genauso wie den Kommunismus ablehnen.

Übersetzung von Florian Werner

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Richard Malcolm Weaver jr. (1910–1963) lehrte jahrzehntelang als Literaturwissenschaftler an der Universität von Chicago, wo er insbesondere zur Kultur des amerikanischen Südens publizierte. Seine Studien behandeln Fragen der Rhetorik, Philosophie und Ethik.

JF24/24

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