1.11.
Liebes Tagebuch. Heute Morgen wieder schweißdurchnäßt aufgewacht. Der erste Griff zum Handy läßt das Zittern weniger werden: Trump ist nicht Präsident. Noch nicht. Die Welt dreht sich weiter. Vorerst. Auf der Fahrt Richtung ZDF-Hauptstadtstudio (heute mal nicht mit dem Rad, es ist doch sehr frisch geworden) läßt der Taxifahrer auf meinen Wunsch hin Deutschlandradio laufen. Beruhigend, hier denken alle so wie ich. Harris führt in Umfragen in Michigan, Wisconsin, Pennsylvania. Der Radiomoderator erklärt mir, daß Trump zumindest einen dieser Staaten braucht, um Präsident zu werden. Ha! Kriegt er nicht, die Menschen da sind viel zu schlau.
Später.
Es ist jetzt 12.06 Uhr. Auf einer der 253 Umfrageseiten, die ich minütlich checke, führt Trump jetzt wieder um 0,2 Prozentpunkte in Michigan. Ich könnte vor Wut fast schreien. Die Leute dort sind einfach dumm, saudumm. Kein Wunder, daß es dort täglich Schulschießereien gibt und alle eklig fett sind. Anders als bei uns in Deutschland, wo wir klug wählen und noch viel klüger essen. Eine Kollegin von „Frontal“ weint und muß auf der All-Gender-Toilette getröstet werden.
Wer Trump wählt, hat keine Zähne
Ich suche das Gespräch in unserer Anti-Streß-Lounge. Auf bunten Knautschkissen können wir, begleitet von einem gebührenfinanzierten Emotions-Coach, unsere Ängste verbalisieren. Ein Pappaufsteller von Robert Habeck verbreitet angenehme Schwingungen, im Hintergrund singen die Toten Hosen darüber, wie wichtig es ist, seine Steuern zu bezahlen, damit der Staat auf uns achtgeben kann. Beruhigend, hier denken alle so wie ich. Später werde ich in der Sendung, die ich betreue, fünf akademisch gebildete Amerikaner zeigen, die offen pro Harris sind und einen richtig dummen Redneck ohne Zähne, der Trump abfeiert. Wir müssen das Ruder JETZT rumreißen.
Auf dem Weg nach Hause kaufe ich beim Kiosk jeweils einen Stern, Focus und den Spiegel. Auf zwei Covern grüßt mich eine strahlende Kamala mit Heiligenschein. Sie erinnert mich so sehr an Michelle Obama, neben Robert Habeck mein absoluter Lieblingsmensch und Role Model für meine Tochter, hätte ich denn Kinder. Auf dem Spiegel-Cover tritt ein stilisierter Donald Trump in brauner SA-Uniform und im Schatten eines Atompilzes auf den Kopf der Freiheitsstatue ein, so wie Edward Norton in American History X. Das ist beunruhigend, ich werde übers Wochenende wohl nur Stern und Focus lesen.
Heute gibt es wieder kein Trinkgeld
4.11.
Liebes Tagebuch. Die ganze Nacht auf den Montag wieder kein Auge zu bekommen. Obwohl ich den Spiegel nicht gelesen habe, wieder heftige Angstträume davon gehabt, wie Elon Musk alle Transgendermenschen interniert und mit einer SpaceX-Rakete auf dem Mars entsorgt. Wie bei den Nazis, von Braun läßt grüßen und man weiß ja, wo der später Karriere gemacht hat. Ich bekomme nicht einen Löffel Quinoa runter, meine Beine sind weich wie Pudding. Das Fahrrad bleibt also in der Garage, ich nehme wieder ein Taxi.
Später.
Völlig aufgelöst im ZDF-Hauptstadtstudio angekommen. Der Taxifahrer ist zwar eine Person of Color, konnte mein Anliegen aber null verstehen, warum es supergut ist, daß Amerika endlich von einer schwarzen Frau regiert wird. Habe ihm erklärt, daß Trump fast nur lügt, 34 mal von Gerichten verurteilt wurde und ein Straftäter ist, Haß sät und auf Spaltung aus ist, Frauen sexistisch angeht und Leute wie ihn erschießen lassen will. Hat er nicht gerafft. Hielt Donald Trump für einen „starken Macher“, der endlich mal sagt, was Sache ist. Und Frauen gehörten für ihn auch nicht in die Politik.
Ich bin ja nun wirklich für viel Einwanderung und gerne auch von People of Color, die dringend eine zahnärztliche Behandlung bei Grenzübertritt benötigen, aber das war einfach mega zurückgeblieben. Wo ist da die Solidarität unter den unterdrückten Menschenrassen? Haben Tunesier wie mein Taxifahrer überhaupt ein Anrecht auf Asyl? Ich gebe ja nie Trinkgeld, aber heute habe ich auch gesagt, warum nicht. Es gibt Grenzen!
Später.
Nach der Arbeit noch in meine Lieblings-Fußi-Kneipe „11 Freunde für LGTBQ+-Rechte“, um mit Thorsten, Caspar und Sönke über die Lage zu sprechen. Beruhigend, hier denken alle so wie ich. Ich bestelle eine Cola und als der Wirt sie an unseren Tisch bringt, sieht er meinen „Harris/Waltz“-Button am Revers und nickt mir freundlich zu.
Flucht in Habecks Heimat
Thorsten sagt, daß es jetzt sogar einen Kinofilm gibt, der zeigt, wie mies das Trumpeltier wirklich ist. Muß ich unbedingt noch gucken, das klingt oscarverdächtig. Und Caspar gibt zu bedenken, daß ja im Zweiten Weltkrieg viele Juden nach Amerika geflohen sind. Was wird jetzt aus denen, wenn der gewinnt? Kommen die dann alle wieder nach Deutschland zurück? Denn nach Palästina sollten sie auf keinen Fall, das Land gehört ja den Palästinensern. Ich glaube Deutschland wäre gut.
Wir sind reich und wir haben Platz, aber ein bißchen Angst um meine Miete habe ich schon. Sönke auch, aber vor allem, weil er nicht weiß, was mit Deutschland, also was mit der Welt passiert, wenn Trump doch noch gewinnt und Diktator wird. Er schmiedet deswegen bereits Ausreisepläne, vermutlich wird er nach Schleswig-Holstein fliehen. Da kommt Habeck her.
Die fetten Burgerfresser dürfen wählen
Später.
Ich glaube, ich habe zu viel Cola getrunken, ich kann schon wieder nicht schlafen.
5.11.
Liebes Tagebuch. Komme gerade wütend vom Wahllokal zurück. In der Martin-Schulz-Schule ist heute ganz regulär Unterricht. Mein Taxifahrer sagte mir, die Wahl würde in den USA stattfinden. Das heißt, die Amis bestimmen darüber, wer jetzt Präsident wird. Ausgerechnet die Amis! Diese fetten, burgerfressenden, waffenvernarrten, benzinerfahrenden, freiheitsfanatischen, jesusliebenden, indianerausrottenden, atomkraftnutzenden Neandertaler ohne Krankenversicherung. Im Auto meines marokkanischen Fahrers riecht es nach Frühstück von McDonald’s. Gnade uns Gott.
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Quellenlink : Wahl in den USA: Wahl in den USA Aus dem Tagebuch eines ZDF-Redakteures