Verfassungsrechtler kritisieren: Verfassungsrechtler kritisieren „Extreme Verletzung der Pressefreiheit“: Kritik an „Compact“-Verbot reißt nicht ab

BERLIN. Zahlreiche Juristen, Politiker und Journalisten haben sich kritisch zum Verbot des „Compact“-Magazins geäußert. Für die Pressefreiheit gelte „ein besonders strenger Maßstab“, schrieb etwa Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) in den sozialen Medien. „Der Verdacht drängt sich auf, daß Umfang und Bedeutung dieses für unsere Demokratie elementaren Grundrechts verkannt wird.“

Kubicki richtete seine Kritik einerseits an Journalisten und „eifrige Kommentatoren auf sozialen Plattformen“. Andererseits bezog er sich auf Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Weder ihre Begründung für das Verbot „noch die per ‘FAQ‘ durch das Bundesinnenministerium nachgeschobenen Erläuterungen lassen eine im Ansatz ausreichende Auseinandersetzung mit der unzweifelhaft betroffenen Pressefreiheit erkennen“, konstatierte er.

Bereits kurz nachdem das Verbot erlassen worden war, hatte der Bundestagsabgeordnete Zweifel am Vorgehen der Innenministerin geäußert und ihren Rücktritt in den Raum gestellt. „Sollte das Verbot, was ich befürchte, gerichtlich aufgehoben werden, ist ein Rücktritt der Innenministerin unvermeidlich“, betonte Kubicki.

Zahlreiche Juristen äußern Bedenken

Eine ähnliche Auffassung vertritt der Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler, der auf der Plattform X deutliche Worte wählte: „Eine so extreme Verletzung der Pressefreiheit gab es in Deutschland noch nicht. Wenn Nancy Faeser weiter im Amt bleibt, sagt das ganz viel aus über die Regierung und ihren Respekt vor der Verfassung, der Freiheit und der Demokratie.“

Im Gespräch mit Welt TV führte er aus: „Man darf in die Pressefreiheit nur eingreifen, wenn es strikt verhältnismäßig ist.“ Innenministerin Faeser bediene sich eines Tricks und umgehe die Pressefreiheit, indem sie „Compact“ als Verein definiere. „Das ist juristisch völlig inakzeptabel“, unterstrich Boehme-Neßler.

Das sieht auch der ehemalige Richter am sächsischen Verfassungsgerichtshof, Christoph Degenhart, so. Ein Vereinsverbot, „das sich im Wesentlichen auf grundrechtlich geschützte, also nicht strafbare Presseinhalte stützt, wäre verfassungswidrig – ominöse Meinungsäußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze reichen nicht aus“, sagte er der FAZ.

Ist das „Compact“-Verbot verfassungskonform?

Der Weg über das Vereinsverbot sei „verfassungsrechtlich nicht gangbar“, legte Degenhart dar. „Wenn es sich wie hier um einen Verein handelt, dessen wesentlicher Vereinszweck die Herausgabe einer Zeitung oder einer Zeitschrift, Print oder online, ist, handelt es sich materiell um ein Publikationsverbot in Gestalt eines Vereinsverbots. Damit wird die Kompetenzordnung des Grundgesetzes umgangen – Presserecht ist Landesrecht, dies gilt auch für Verbote, die in dieser Form im Presserecht der Länder eben nicht vorgesehen sind. Materiell ist das Verbot unmittelbar am Grundrecht der Pressefreiheit zu messen – Beschränkungen der Pressefreiheit sind zulässig, wenn strafbare Inhalte verbreitet werden, können aber auch dann meines Erachtens nur die jeweilige Ausgabe betreffen und kein Totalverbot rechtfertigen.“

Das Vorgehen des Innenministeriums bezeichnete Degenhart daher als „rechtlich in hohem Maße problematisch“. Er habe „erhebliche Zweifel, ob es einer verfassungsgerichtlichen Prüfung standhalten würde“. Damit schloß er sich dem Medienrechtsexperten Christian Conrad an, der im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT ebenfalls bezweifelt hatte, daß das „Compact“-Verbot verfassungskonform ist.

Conrad verwies unter anderem auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juli 2018. Daraus gehe hervor, daß ein Vereinsverbot „mit den Anforderungen des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren wäre, wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz der Pressefreiheit genießen“.

Staatsrechtler Vosgerau: Fundamentalkritik am politischen System zulässig

Das Innenministerium müsse nachweisen, daß es die strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben eingehalten habe (Die gesamte Verbotsverfügung des Ministeriums als pdf-Datei), betonte Conrad. „Hinzu kommen weitere rechtliche Fragen zur Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes auf Medienunternehmen, zum Zensurverbot oder zur Zuständigkeit des Bundes, die bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden wurden.“ Außerdem stelle sich die Frage, ob es anstelle des Verbots nicht mildere Mittel wie etwa ein Verbot bestimmter Tätigkeiten des Verlags oder Maßnahmen gegen einzelne Mitglieder gegeben hätte.

Der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau stellte in einem Kommentar für die JF fest: „Die Ausübung von Grundrechten steht nach dem Grundgesetz nicht unter dem Vorbehalt der ‚prinzipiellen Systemfreundlichkeit‘ und des Verzichts auf Fundamentalkritik. Im Gegenteil: Die Grundrechte sollen im freiheitlichen Verfassungsstaat den Bürger gerade in die Lage versetzen, auch grundlegende Kritik am politischen System äußern zu können.“

Dies sei in der Bundesrepublik lange Zeit Konsens gewesen. Während des Kalten Krieges etwa habe „es zahlreiche fundamental- und systemoppositionelle Medien, die teils offen mit dem Sowjetsystem sympathisierten und nicht selten von der DDR finanziert wurden“, gegeben. „Niemand dachte in der alten Bundesrepublik und im Kalten Krieg auch nur daran, solche Publikationsorgane zu verbieten“, machte Vosgerau deutlich. Als Beispiel nannte er unter anderem den Pahl-Rugenstein-Verlag, in dem auch Nancy Faesers SPD-Parteifreund, der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, publiziert hatte.

Auch Journalisten kritisieren das Verbot

Neben der Kritik von juristischer Seite prangern auch immer mehr Publizisten und Journalisten das „Compact“-Verbot an. Der Medienverband der freien Presse (MVFP) teilte beispielsweise mit, er bewerte „das Verbot eines Presseverlages durch das Innenministerium als einen schwerwiegenden Eingriff in die durch das Grundgesetz geschützte Pressefreiheit“.

Inhaltlich distanzierte sich der Verband vom „Compact“-Magazin, stellte aber klar: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungen als ihre Grundlage sind jedoch zentrale Elemente jeder gelebten Demokratie, und ihre Grenzen dürfen nicht politisch definiert werden, sondern sind durch das Strafgesetzbuch geregelt. Ein Verstoß gegen Strafgesetze wurde von der Innenministerin nicht vorgetragen.“

„Mit dem ‘Compact’-Verbot geht die Regierung zu weit“

Der BZ-Journalist Gunnar Schupelius führte das gleiche Argument an. „Es ist schwer zu ertragen, was ‚Compact‘ in die Welt setzt, aber es ist nicht verboten“, bekräftigte er. „Die im Grundgesetz verbriefte Meinungsfreiheit beinhaltet ausdrücklich, daß auch absurde Meinungen und falsche Behauptungen geäußert werden dürfen, es sei denn, es handelt sich um Volksverhetzung, Aufruf zur Gewalt und ähnliche Straftaten. Solche werden ‚Compact‘ aber nicht vorgeworfen.“

Sein Fazit: „Mit dem ‚Compact‘-Verbot geht die Regierung zu weit, weil es keine kriminelle Vereinigung ist, die verboten wurde, sondern eine Meinungsschleuder, deren Agitation von der Meinungsfreiheit so lange gedeckt ist, wie ihre Auswüchse das Strafrecht nicht verletzen.“

Zuvor hatten sich unter anderem bereits die Zeit-Journalisten Lars Weisbrod und Jochen Bittner oder der Welt-Korrespondent Deniz Yücel kritisch zu Wort gemeldet. (dh)

Quellenlink : Verfassungsrechtler kritisieren: Verfassungsrechtler kritisieren „Extreme Verletzung der Pressefreiheit“: Kritik an „Compact“-Verbot reißt nicht ab