Sicherheitspolitik Wie die EU ihre Bürger auf Gefahr vorbereiten möchte

Unermüdlich mahnt das 2004 gegründete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Bundesbürger, sich für den Fall der Fälle mit Lebensnotwendigem für mindestens 72 Stunden zu bevorraten – und bestätigt damit die eindringlichen Warnungen der als „rechts“ verfemten Prepper-Szene. Wenn das BBK den „Blackout“ als Beispiel nahm, bei dem Supermärkte und Tankstellen mangels Strom geschlossen bleiben, Kühlschränke und Gefrierfächer ausfallen und je nach regionalen Voraussetzungen auch kein Trinkwasser mehr aus dem Wasserhahn kommt, wurde vor Corona sogar der Bonner Behörde Panikmache vorgeworfen.

Doch ein neuer Plan für ein Sicherheitskonzept zur zivilen und militärischen Vorbereitung der EU empfiehlt den Bürgern nun ebenfalls, Lebensmittel und Wasser für mindestens 72 Stunden zu horten. Extreme Naturereignisse wie Unwetter, Hochwasser, extreme Hitze, starker Schneefall und Glätte sind immer häufiger zu erleben, und auch bewaffnete Konflikte werden nicht mehr ausgeschlossen. Erarbeitet hat das Papier Sauli Niinistö, konservativer finnischer Ex-Präsident und nun Sonderberater von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Diese hatte ihn im Frühjahr dazu aufgefordert, einen Plan zu erarbeiten, der die EU-Bürger aktiv in die Vorbereitung auf Krisen wie Kriege, Naturkatastrophen und Pandemien einbezieht.

Der 76jährige hat seinem Report, der 80 Maßnahmen enthält, nicht nur die nationale Verteidigungsstrategie seines Heimatlandes zugrunde gelegt, sondern dürfte auch entscheidend auf Tempo gedrückt haben. Schließlich wissen nicht nur die Finnen, wie unberechenbar der russische Nachbar sein kann. Die EU sei weder auf die Corona-Pandemie noch auf den Ukraine-Krieg ausreichend vorbereitet gewesen, räumte von der Leyen bei der Vorstellung des Papiers in Brüssel ein. Hätte sie sich mehr Zeit genommen, hätte sie berichten können, wie in Deutschland mit Steuergeldern errichtete Sirenen abgebaut und Schutzbunker abgerissen worden waren. So erinnerte sie nur daran, daß ein einziger Klick eines Hackers Stromnetze abschalten und ganze Städte in Dunkelheit stürze könne.

20 Prozent des Haushalts sollen in die Vorsorge fließen

Es sei wichtig, sich proaktiv auf solche Szenarien vorzubereiten, sagte Niinistö unter Verweis auf seine Heimat: „Die Beteiligung der Menschen ist ein Grundpfeiler der Sicherheit in Finnland.“ Vorgesehen sind fürs erste koordinierte Informationskampagnen. Aufbauend auf der laufenden Arbeit im Rahmen von „PreparEU“ sollten sich die Haushalte in der EU in unterschiedlichen Notlagen mindestens 72 Stunden selbst versorgen können. Essen und Trinken sollte sogar für zehn Tage reichen, empfiehlt dagegen seit langem das BBK: Zwei Liter Flüssigkeit pro Person und Tag sollten bereitstehen, außerdem Lebensmittel, die 2.200 Kilokalorien – ebenfalls pro Person und Tag – beinhalten. Auf dem Vorsorgeportal der Bonner Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gibt es einen Vorratskalkulator, mit dem sich der Bedarf entsprechend der Familiengröße berechnen läßt.

„Wir haben keinen klaren Plan, was die EU im Falle einer bewaffneten Aggression gegen einen Mitgliedstaat tun wird. Die Kriegsgefahr durch Rußland zwingt uns, dies als Kernstück unserer Vorbereitung zu behandeln, ohne die Vorbereitung auf andere große Bedrohungen zu vernachlässigen“, heißt es im Niinistö-Report. Zukünftig müßten aber alle „militärischen und zivilen Akteure der Krisenreaktion im Rahmen eines umfassenderen gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Ansatzes vollständig einsatzbereit und in der Lage sein, wirksam und nahtlos zu reagieren“. Äußere und innere Sicherheit müßten miteinander verknüpft, sowohl zivile als auch militärische Mittel einbezogen werden. Erarbeitet werden sollen konkrete Evakuierungspläne, ABC-Szenarien, Hinweise zur medizinischen Versorgung. Zu den empfohlenen Vorräten gehören unter anderem Lebensmittel, Getränke, Medikamente und eine Taschenlampe.

Die EU-Bürger sollen wissen, wie sie sich in Situationen mit chemischer, biologischer, radiologischer oder nuklearer Bedrohung verhalten müssen. Für ältere Menschen, chronisch Kranke oder Behinderte und Schwangere sollen besondere Vorkehrungen getroffen werden. Gleichzeitig sollen die Europäer bei Themen wie „Cybersicherheit, Katastrophenrisiken und Desinformation“ weitergebildet werden. Immerhin 20 Prozent des EU-Haushalts sollen für diese Vorsorge bereitgestellt werden.

Die EU baut ihre Befugnisse aus

Gleichzeitig will die EU quasi durch die Hintertür ihre Befugnisse ausbauen, indem sie, aufbauend auf dem 2003 gegründeten Zentrum für Nachrichtenanalyse (INTCEN), einen europäischen Nachrichtendienst entwickeln möchte. Dieser werde die „Aufgaben der nationalen Nachrichtendienste der Mitgliedsstaaten nicht nachahmen, auch nicht in bezug auf ihre Rolle bei der Informationsbeschaffung“, versicherte Niinistö. Allerdings soll ebenfalls der Informationsaustausch zwischen den bestehenden nationalen Geheimdiensten verstärkt und den Strafverfolgungsbehörden Zugang zu verschlüsselten Daten gewährt werden, um angeblich „Spionage, Sabotage und Terrorismus sowie organisierte Kriminalität“ besser bekämpfen zu können.

Beides dürfte für große Unruhe bei den Diensten sorgen, wo durchaus nicht alle allen trauen. Es müsse „Vertrauen aufgebaut“ werden, sagte Niinistö. Wenn einem Mitgliedsstaat nicht vertraut werden könne, sei das „ein Verstoß gegen die Integrität der EU“. In seinem Bericht wird auch für die Notwendigkeit der Stärkung der Verteidigungsstruktur – die EU-Kommission hatte im März einen Etat von 1,5 Milliarden Euro dafür vorgeschlagen – und eines einheitlichen Rüstungsmarktes sowie den Aufbau eines europäischen Luftverteidigungsschildes, wie es von der Leyen im Mai befürwortet hatte, geworben. Nato und EU sollen enger zusammenarbeiten.

Das Kabinett von Olaf Scholz hat seinerseits kurz vor dem Ampel-Aus noch einen 83seitigen Gesetzentwurf „zur Stärkung der Resilienz kritischer Anlagen“ auf den Weg gebracht. Das KRITIS-Dachgesetz sieht eine engere Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft vor, um einen umfassenden Schutz „für die essentiellen kritischen Infrastrukturen“ wie Energieunternehmen, Transportwege oder Flughäfen zu gewährleisten. Ein Schutzschirm soll sicherstellen, daß sicherheitsrelevante Vorfälle wie Sabotage, Terrorismus, Unfälle oder Naturkatastrophen lediglich zu kurzfristigen Störungen führen, jedoch nicht zu einem vollständigen und langanhaltenden Ausfall.

Mehr Schutz „für die essentiellen kritischen Infrastrukturen“?

Die Betreiber der Infrastruktureinrichtungen werden verpflichtet, Mindestanforderungen zu erfüllen und jegliche Störfälle zu melden. Bei Verstößen drohen hohe Bußgelder. Wichtig sei es, nicht nur die Unternehmen in den Blick zu nehmen, sondern auch alle Einrichtungen der Bundesverwaltung, mahnte der Digitalverband Bitkom. Und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) fordert neue Veröffentlichungs- und Transparenzpflichten, damit kritische Energieanlagen künftig nicht mehr über Portale der öffentlichen Verwaltung mit Leistungs- und Geodaten aufzufinden seien, wie beispielsweise über das Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur. „Diese Portale gefährden sogar den Schutz kritischer Infrastrukturen“, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung und zuvor langjährige grüne Bundestagsabgeordnete.

Die neue Russen-Angst und die Aufforderung zur Bevorratung birgt aber auch Konfliktpotential. So dürfte ein Rentner im oberfränkischen Landkreis Wunsiedel die EU-Warnugen gründlich mißverstanden haben, als er sich ein Waffenlager – aufgeteilt auf mehrere Verstecke – mit zig Schuß- und Kriegswaffen, 15.000 Schuß Munition sowie Bajonetten, Hieb- und Stichwaffen anlegte. Ob das für drei Tage Widerstand gereicht hätte, ließ der Zoll, der alles beschlagnahmte, offen. Die magischen 72 Stunden beruhen übrigens auf der Annahme, daß spätestens nach deren Verstreichen staatliche Hilfe anrollt oder eben Wladimir Putins kampferprobte Truppen tatsächlich vor der Haustür stehen.

Aus der JF-Ausgabe 47/24.

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