Schwere Überflutungen: Schwere Überflutungen Pflichtversicherung gegen Hochwasserschäden?

Die „Hochwasserdemenz“ beschreibt ein Verhaltensmuster, bei dem wiederholte Extremwetterlagen und deren Folgen schnell vergessen werden oder wenig daraus gelernt wird. Dabei reihen sich die Zyklen aneinander: August-Hochwasser 2002; Juni-Hochwasser 2013; Sturzflut Bernd 2021 (Ahr) und nun die Überflutungen im Saarland, Bayern und Baden-Württemberg. Die Schäden sind immens.

Bei einem Gesamtschaden des Hochwassers 2021 von 40,5 Milliarden Euro entfielen auf Privathaushalte 14 Milliarden und auf Firmen 2,8 Milliarden Euro. Dazu kamen indirekte Schäden durch Produktionsausfälle von 7,1 Milliarden Euro.

Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) rechnet aber nur mit etwa 9,5 Milliarden Euro versicherten Schäden. Die eigentlich notwendigen Verhaltensanpassungen müßten eine Kombination aus Regulierung (Flächenplanung, Bauverbotszonen), staatlicher und privater Vorsorge, Kostenübernahme durch Versicherungen und langfristigem Klimaschutz umfassen.

Versicherter Schadenaufwand der Katastrophen 2002 bis 2022 (Quelle: GDV / Grafik: JF)

In der derzeitigen Diskussion steht eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden im Vordergrund. Unterstützung erfährt der Vorschlag von mehreren Bundesländern, der SPD und den Grünen, ablehnend sind die FDP und der GDV. Dabei stand 2003 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe bereits kurz vor dem Abschluß einer entsprechenden Elementarpflichtversicherung. Da jedoch nicht alle 200-Jahres-Ereignisse – Schäden, welche im Mittel alle 200 Jahre auftreten – über die Rückversicherungen abgedeckt werden konnten, und der Bund eine Risikobeteiligung ablehnte, kam es nicht dazu.

Doch warum besteht eine unzureichende Versicherungsdichte? Während laut GDV im Bundesschnitt 52 Prozent der Immobilien gegen Elementarschäden versichert sind, sind es in Bayern nur 45 Prozent, in Baden-Württemberg 94 Prozent. Dort bestand bis Juni 1994 eine Monopolversicherungspflicht, die mit EU-Recht gekippt wurde. Hinzu kommt, daß nur 1,1 bzw. 0,4 Prozent der insgesamt 22,4 Millionen deutschen Adressen in den Hochwassergefährdungsklassen 3 und 4 liegen. Statistisch droht hier eine Überflutung mindestens einmal in 100 Jahren oder sogar alle zehn Jahre.

Bezogen auf alle Versicherungsverträge gegen Elementarschäden entfallen jedoch noch weniger auf beide Klassen, nämlich nur 0,9 und 0,24 Prozent. Ursache sind die risikogestaffelten Prämien, die zwischen 100 Euro (Klasse 1) und 1.000 Euro (Klasse 4) betragen. Teils erhebliche Selbstbehalte mindern den wahrgenommenen Versicherungsnutzen zusätzlich. Extremlagen (Flußufer) sind zudem nicht versicherbar. Dazu kommen Fehleinschätzungen Betroffener hinsichtlich der Risiken und des Versicherungsschutzes. Selbst bei Risikobewußtsein verhindert die allzu menschliche Aufschiebetendenz die Vertragsentscheidung.

Außerdem erzeugt das „Dilemma des Samariters“ bei einmal gewährten staatlichen Sofort- und Wiederaufbauhilfen eine Erwartungshaltung, die insbesondere bei Großschäden mit vielen Betroffenen politisch nicht unbeachtet bleibt. Gerhard Schröders „Gummistiefel-Einsatz“ zur Elbeflut 2002 nur Wochen vor der Bundestagswahl gibt ein Beispiel. Eine private Versicherung scheint dann weniger notwendig und führt bei bereits Versicherten zur Demotivation, die Beiträge „umsonst“ gezahlt zu haben – Vorsorgeanstrengungen bleiben unbelohnt.

Was spricht gegen eine Elementarpflichtversicherung?

Was spricht also gegen eine Elementarpflichtversicherung? Es wird befürchtet, daß Kommunen und Länder weniger Vorsorge betreiben werden – beginnend mit dem Verbot von Baugenehmigungen in Hochwassergebieten, der Deichinstandhaltung bis hin zur Anpassung von Kanalisationen und der Errichtung von Überflutungsgebieten. Ähnliches gilt für die private Vorsorge: dem Einbau von Rückstauklappen und Flutsicherungen. Auch würden im Gegensatz zur Kfz-Haftpflichtversicherung keine Dritten geschützt. Es gilt somit das Eigeninteresse und die freie Entscheidung.

Wie sähe eine Elementarpflichtversicherung aus, die die aufgezeigten Probleme berücksichtigen würde? Sie hätte einen Jedermann-Versicherungsschutz, Anreize zur Prävention, zugleich Prämiengünstigkeit bzw. Erschwinglichkeit, nicht mehr notwendige staatliche Fluthilfen und eine verbleibende Wahlmöglichkeit zur individuellen Ausgestaltung zu gewährleisten.

Auf Bundesebene wäre ein Rahmengesetz zu beschließen, das einen Basisschutz gegen Elementarschäden (Feuer, Sturm, Hagel, Hochwasser, Überschwemmung, Schneedruck, Lawinen, Bergsturz, Erdrutsch und Erdfall) bei allgemeiner Versicherungspflicht der Hauseigentümer auf der Grundlage risikobasierter Prämien beinhaltet. Basisschutz heißt beispielsweise eine Absicherung in Höhe von 70 Prozent des Immobilienwertes.

Im Zweifel könnte den Rest ein privater Kredit abdecken, sollte ein Totalschaden vorliegen. Damit wäre der Sozialfall vermieden. Eine Versicherungspflicht unterscheidet sich von einer monopolartigen Zwangsversicherung durch den verbleibenden Wettbewerb verschiedener Versicherungen, die die marktlichen Anreize eines nachfragegerechten Angebotes bei Aufrechterhaltung eines Innovationsdruckes zur Absicherung neuartiger Risiken (Schäden durch Cyber, KI) aufrechterhält.

Mit Hilfe von risikobasierten Prämien bleiben zumindest die privaten Präventionsanreize erhalten. Der Einbau von Maßnahmen zum Hochwasserschutz würde belohnt, wobei die Versicherungen mit ihrer Expertise beratend unterstützen könnten.

Rückversicherungen für die 200-Jahres-Ereignisse

Zugleich besteht auch ein gewisser Druck auf staatliche Stellen, entsprechende Bauvorschriften, Bebauungsauflagen, Neubauverbote und einen investiven Hochwasserschutz (Deiche, Polder, Schutztore) vorzunehmen. Um einerseits bestehende Bauten auch in hochgefährdeten Lagen abzusichern, andererseits einkommensschwachen Eigentümern eine für sie tragbare Prämienhöhe zu gewährleisten, muß entweder der Staat ähnlich des Wohngeldes individuelle Unterstützung leisten oder das Kollektiv der Versicherungen muß einen finanziell eher begrenzten Umverteilungsmechanismus vorhalten, der die Subventionen trägt.

Für die seltenen 200-Jahres-Ereignisse, die aber mit extrem hohen Schäden behaftet sind, müßten Rückversicherungen gefunden werden oder der Staat (Steuerzahler) müßte die Risiken tragen. Ebenso wäre hier ein Ausschluß denkbar. Die Kontrolle des Pflichtversicherungsschutzes könnte über die die Grundsteuer erhebende Kommune erfolgen, indem mit dem Steuerbescheid ein Versicherungsnachweis angefordert wird.

Schließlich könnte ähnlich der Feuerschutzsteuer, durch die unter anderem die Freiwilligen Feuerwehren mitfinanziert werden, eine Elementarschutzsteuer für die Ertüchtigung des Technischen Hilfswerks sorgen. „Krisendemenz“ ist durch eine angemessene Rahmenregelung heilbar.

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Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

JF 25/24

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