Anders als bei unseren französischen Nachbarn, wo sie längst Einzug in den Mainstream gehalten hat, gilt die Islamkritik, mithin die Auseinandersetzung mit dem Islam als mit dem europäischen Modell unvereinbarer Herrschaftsform, hierzulande nach wie vor als ungebührlich oder gar unanständig. Während in Frankreich sogar die politische Mitte und manche Linksliberale sich nicht scheuen, die durch den Islam entstehenden Mißstände beim Namen zu nennen, werden diese Religion und ihre Vertreter, ungeachtet ihrer zum Linksliberalismus konträren Wertvorstellungen, von seiten der offiziösen deutschen Politik nach wie vor folkloristisch als sogenannte Bereicherung des hiesigen Diversity-Mosaiks glorifiziert.
Zweifelsohne hängt dieser Umstand damit zusammen, daß die im Westen seit dem 11. September 2001 intensivierte Islamkritik hierzulande lange Zeit eher randständig war und sogar auf der politischen Rechten distanziert, zuweilen gar als Spielart plumper Religionsfeindlichkeit behandelt wurde. Die ersten in die Breite wirkenden islamkritischen Bestseller in Deutschland entstanden denn auch allesamt erst im Verlauf der vergangenen zehn oder allenfalls fünfzehn Jahre, zumal nach den ernüchternden Erfahrungen mit den ersten Sitzungen der von Wolfgang Schäuble ins Leben gerufenen Deutschen Islamkonferenz, auf die viele Hoffnungen gesetzt worden waren, die sich allerdings als Selbstbeweihräucherungsplattform für Regierungsparteien und Islamverbände erweisen sollte.
Erst seit wenigen Jahren kann davon die Rede sein, daß die hiesige interessierte Leserschaft über eine gewisse Auswahl an Islamkritikern mit jeweils individuellem Zugang zum Gegenstand verfügt. Neben Orientalisten wie Tilman Nagel haben auch Wissenschaftler aus anderen Disziplinen, etwa die Ethnologin Susanne Schröter, ferner aus vornehmlich sozioökonomischer Perspektive berichtende Politiker wie Thilo Sarrazin sowie schließlich aus eigener Erfahrung sprechende Autoren wie Hamed Abdel-Samad und Ahmad Mansour die auf dem hiesigen Buchmarkt erhältliche Islamkritik tatsächlich bereichert.
Noll lebt im Süden Israels
Diese Palette wird seit wenigen Monaten ergänzt um das Buch eines Romanciers und Literaturwissenschaftlers, dessen Zugang zum Islam sich grundlegend von dem aller vorgenannten Autoren unterscheidet. Als er die DDR als angehender Schriftsteller verließ, hätte es sich Chaim Noll, Sohn des kommunistischen Staatsdichters Dieter Noll, niemals träumen lassen, daß ihn seine weitgehend verschüttgegangenen jüdischen Wurzeln dereinst in die Nachbarschaft des Islam verschlagen würden. Doch lebt er inzwischen seit mehr als 25 Jahren in der Wüste Negev im Süden Israels.
Der vorliegende Band versammelt Texte Nolls aus ebendieser Zeitspanne. Ihre chronologische Anordnung läßt den Leser nachvollziehen, daß die Auseinandersetzung des Autors mit dem Islam zunächst vornehmlich literarhistorischer Natur war; im Zuge seines Lehrauftrags an der Universität Beer Sheva und der Arbeit an seinem Opus magnum, der 2020 erschienenen Literaturgeschichte der Wüste, beschäftigte sich Noll etwa ab der Jahrtausendwende mit den örtlichen Beduinengesängen.
Wie es dazu kam, erzählt er in einem Essay von 2003; es war der seinerzeitige Militärgouverneur des israelischen Südens, der arabische Jude Sasson Bar-Zvi, der die mündlich tradierte Lyrik der Beduinenstämme aufzeichnete und die entstandenen Aufnahmen nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst der Universität Beer Sheva vermachte. Noll war Teil jenes Forschungsteams, das die Gesänge verschriftlichte, kategorisierte und in Übersetzungen zugänglich machte.
Islamismus trifft auf „benebeltes Europa der Spaß-Gesellschaft“
Zunächst war Nolls Interesse am Islam weit davon entfernt, politisch motiviert zu sein; allenfalls bestimmte Charakteristika der Beduinengesänge erlaubten ihm eine Annäherung an den Islam als Gesellschaftsmodell und Herrschaftsform, dienen doch diese Gedichte den erst relativ spät islamisierten Beduinen aus Nolls Sicht „als Ventil für gesellschaftlich verbotene Gefühlsäußerung“: „In Form von angeblich Erlebtem wird ausgesprochen, was sonst nicht in Worte gefaßt werden darf: erotische Sehnsucht, Verlangen, Hoffnung auf Wechsel“.
Erst mit den Anfeindungen gegen den von Noll geschätzten Papst Benedikt XVI. im Nachgang zu seiner Regensburger Vorlesung von 2006, als Anhänger des Islam weltweit gläubige Christen „mit Geschrei und Feuer einzuschüchtern“ suchten, beginnt Noll zunehmend, den Islam politisch zu betrachten. In diesen Jahren setzt seine Beschäftigung mit dem Koran ein. Dabei folgt die von Noll sukzessive geübte Islamkritik keineswegs einem religionsfeindlichen Impetus, ist er doch schon vor mehreren Jahrzehnten selbst religiös geworden; weit eher als auf Religionskritiker beruft sich Noll auf jüdische Theologen wie Abraham Geiger, den Begründer des Reformjudentums, oder den nationaljüdischen Philosophen Franz Rosenzweig, die den Islam als primitiv und unreflektiert betrachteten.
Hervorzuheben ist unter den Beiträgen ferner ein Interview mit dem jüdischen Schriftsteller Ralph Giordano. Nolls bald darauf verstorbener Freund gehörte zu den ersten Islamkritikern in Deutschland und erlebte in seinen letzten Lebensjahren die weitgehende Verbannung aus dem Juste milieu. Dies auch nur aus der Ferne beobachten zu müssen, hat Noll zunehmend pessimistisch gestimmt; ab 2010 benützt er schließlich den (seinerzeit nahezu inkriminierten) Begriff der „Islamisierung“ nicht mehr nur als historischen Terminus, sondern auch in bezug auf Vorgänge im „benebelten Europa der Spaß-Gesellschaft“.
Eine polemischere Auseinandersetzung bleibt aus
Die jüngsten hier versammelten Texte sind hauptsächlich Kommentare zum politischen Tagesgeschehen, die Noll im Verlauf der vergangenen Jahre auf dem Autorenblog „Achse des Guten“ publiziert hat. Mehrere der älteren Essays stammen aus der inzwischen eingestellten liberal-konservativen Zeitschrift Mut. Ein bibliographischer Nachweis zu den einzelnen Stücken hätte dem Buch nicht geschadet.
Doch auch so läßt sich anhand dieses Bands die Entwicklung der Islamkritik im deutschen Sprachraum eindrücklich nachvollziehen. Bemerkenswert bleibt dabei der Umstand, daß Noll, anfänglich zumindest, dem Islam nicht ohne Sympathie begegnete, sondern sich dieser Religion, wie er selbst in seinem Vorwort ausführt, „immer in der Hoffnung auf inner-islamische Alternativen zu den heute verbreiteten aggressiven Auslegungen des Korans“ widmete. Diese Hoffnung wurde leider zunehmend enttäuscht; und so kommen hier denn auch solche Leser auf ihre Kosten, die sich, zumal angesichts der weitgehenden Abwesenheit einer hiesigen Debattenkultur, eine polemischere Auseinandersetzung mit dem Islam wünschen.
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Quellenlink : „Scharia und Smartphone“: „Scharia und Smartphone“ Chaim Noll und der Islamismus: Warner aus der Negev