Neue Proteste in Großbritannien Zwingen wütende Bauern Keir Starmer in die Knie?

Nach den Niederlanden und Deutschland erreichen die Bauernproteste nun auch Großbritannien. Nachdem die Labour-Regierung angekündigt hat, ab 2026 eine Erbschaftssteuer von zwanzig Prozent auf Bauernhöfe zu erheben, machten sich rund 20.000 Landwirte vergangene Woche auf den Weg nach London. Mit dabei eine Fernsehlegende.

„Das sind ja viele. Ich will, daß die BBC es sieht“, richtet der ehemalige „Top Gear“-Moderator Jeremy Clarkson scharfe Worte an seinen Ex-Sender. Seit Jahrzehnten teilt der 64jährige gegen politische Korrektheit aus – ob in seinen Sendungen oder in seiner Kolumne für Großbritanniens Bild-Pendant, The Sun. Mit seinem jüngsten Format, „Clarkson’s Farm“ auf Amazon Prime, kam ein neuer Beruf hinzu. „Vor fünf Jahren habe ich angefangen, einen Hof zu betreiben. Und ich habe verstanden, wie schwer es ist.“ Dabei nennt er eine Reihe von Problemen: horrende Betriebskosten, lähmende Bürokratie, nervige Ökos. Und nun die Erbschaftssteuer obendrauf.

Niemand weiß genau, wer betroffen sein könnte

„Wenn das durchgeht, müssen wir einen Großteil des Hofs verkaufen und dürfen nicht mehr weitermachen“, warnt der junge Bauer Will aus dem südenglischen Wiltshire im Gespräch mit einem GB News-Reporter. Er und seine Mitarbeiterin Jodie, Mutter eines elfjährigen Kindes, laufen mit. „Hört auf, die Menschen zu töten, die euch ernähren“, steht auf dem Transparent hinter ihm. Die Angst ist groß, die Beruhigungsversuche der Regierung scheitern kläglich.

„Ich bin absolut sicher, daß viele nicht betroffen sein werden“, versichert Premierminister Keir Starmer gegenüber Sky News. Die als „Traktorsteuer“ verhöhnte Reform würde erst ab 1,5 Millionen Pfund greifen – und Verheiratete könnten sogar das Doppelte steuerfrei an Erben verschenken. Doch um den vollen Freibetrag zu bekommen, sei häufig eine Umstrukturierung des Unternehmens nötig, heißt es in der Analyse der größten britischen Vereinigung der ländlichen Unternehmer, „Country Land and Business Association“ (CLA). So müßte ein durchschnittlicher Bauernhof mit etwa 80 Hektar 370.000 Pfund über zehn Jahre zahlen. Bei einem üblichen Gewinn von 27.300 Pfund wäre dieser mit 136 Prozent versteuert.

„Entweder will die Regierung nicht ehrlich zugeben, was die wahren Auswirkungen wären, oder sie versteht unsere Arbeit nicht. Ich möchte glauben, daß es tatsächlich Letzteres ist“, sagt CLA-Vizechef Gavin Lane. Die Schätzungen könnten kaum weiter auseinandergehen: Den Regierungsangaben zufolge betrifft es nur 500 der insgesamt mehr als 210.000 Bauernhöfe pro Jahr. Die CLA spricht hingegen von 70.000 Betrieben in den kommenden Jahren – also jedem dritten.

Jeder zweite Brite ist unzufrieden mit Starmer

Dabei ist die Erbschaftssteuer ist nicht die einzige Mehrbelastung, die nun auf die Bauern zukommt: So will die Labour-Regierung ab 2027 eine CO2-Steuer auf wichtige Importe wie Dünger einführen. Bereits ab dem kommenden Jahr müssen viele ihre Pick-up-Transporter als Firmenwagen versteuern lassen und einen höheren Sozialversicherungsbeitrag zahlen. Dies, obwohl die britischen Bauern ohnehin Probleme damit haben, profitabel zu arbeiten: Vergangenes Jahr machten 30 Prozent der Höfe Verluste.

Für Clarkson eine Gelegenheit, um gegen Finanzministerin Rachel Reeves zu schießen. „Sie nimmt ihre Daten aus dem Debattenklub ihrer ehemaligen Oberstufe“, sagt er vor seiner Rede der BBC, die er dann auf der Bühne beschimpft. „Wie konnten sie sich so sehr zur Sprechpuppe dieser teuflischen Regierung machen?“ Die Menge jubelt laut. Der Vorwurf ist nicht ganz unbegründet: So zitierten die Faktenchecker des Senders einen Labour-Parteirichter als „unabhängigen Steuerexperten“, berichtet The Telegraph.

Starmers Kabinett kommt seit den Southport-Unruhen kaum aus der Defensive heraus. Einer Umfrage zufolge stößt es mittlerweile bei 46 Prozent der Wähler auf Ablehnung. Mehr Anhänger als Gegner hat es nur in der linksliberalen Hauptstadt London. Eine E-Petition auf der Seite des Unterhauses, die dessen Neuwahl fordert, bekam innerhalb einer Woche 2,6 Millionen Unterschriften. Dabei käme Labour auf 27 Prozent, hauchdünn vor den oppositionellen Tories um Kemi Badenoch mit 26 Prozent. Jeder fünfte Brite würde Nigel Farages Reform UK wählen.

Die rechte Opposition kann nicht profitieren

Doch auch ihnen mißtrauen die Bauern. Beide Parteichefs sind beim Protest dabei – und Clarkson schafft es, beide zu überschatten. Farage darf hier nicht einmal als Redner auftreten. „Wir wollen nicht, daß unser Protest von Politikern mißbraucht wird“, erklärt einer der Veranstalter gegenüber dem Guardian.

Und aus Kreisen des Orga-Teams heißt es: Es geht ganz genau um den Brexit-Vorkämpfer. Fast 70 Prozent der Landwirte beklagen in einer Umfrage für die Fachzeitschrift Farmers Weekly, der EU-Austritt Großbritanniens habe ihre Geschäfte negativ beeinflußt. Darauf folgten prompt die gegenseitige Wiedereinführung von Zöllen und geringere Subventionen, dagegen nahm die Bürokratielast für Landwirte zu. Hinzu kamen Freihandelsverträge mit Australien und Neuseeland als Ersatz – zwei Ländern mit deregulierter und deutlich effizienterer Landwirtschaft. Alles unter den Tories. Seit dem Regierungswechsel ist die Frust nur größer geworden.

„Sie arbeiten nicht für die Leute, für die sie arbeiten sollen“

Nicht zuletzt wegen der landwirtschaftsfernen Investoren und Lifestyle-Käufer. Nach Angaben der Grundstücksmaklerfirma Strutt & Parker haben sie 2023 die Hälfte des verfügbaren Bodens gekauft, doppelt so viel wie Bauern. Auch bei der Anzahl der Käufe machten die Bauern mit 40 Prozent eine Minderheit aus – 2014 waren es immerhin noch 60 Prozent. Zwar gibt die Firma der bisherigen Erbschaftssteuerbefreiung die Schuld. Doch auch nach den von der neuen Labour-Regierung geplanten Änderungen sei Ackerland attraktiver als andere Anlagen.

Ausgerechnet einen Tag nach der Bauerndemo trifft sich Premierminister Starmer mit dem Blackrock-Chef Larry Fink – und erntet sofort Kritik aus den eigenen Reihen. „Wir werden zu den Verteidigern genau der Eliten, für die uns die Rechten halten“, bemängelt der Labour-Unterhausabgeordnete Clive Lewis. Die größte Fondsgesellschaft der Welt besitzt zwar selbst kein Ackerland, hält aber Anteile an vielen Bodenmaklern und Bauernkonzernen.

Demonstranten, die bei der Unterhauswahl im Juli Labour unterstützt haben, fühlen sich verraten. „Nie wieder“, sagt Landwirtin Judith Jacobs dem Nachrichtenportal Politico. „Sie arbeiten nicht für die Leute, für die sie arbeiten sollen.“

Beobachter geben Entwarnung für Labour

Ein fruchtbarer Boden für politische Außenseiter wie Clarkson. „Mit dem Erfolg von Nicht-Politikern wie Donald Trump war die Zeit nie reifer für ihn, um den Sprung in die Politik zu wagen“, schreibt der Spectator-Autor Philip Patrick. „Er muß nicht einmal einen Sitz gewinnen – denn selbst wenige Kandidaten könnten ländliche Wahlkreise umkrempeln und Labour Angst einjagen.“ In Clarkson sieht er einen potentiellen Anführer einer Bauernbewegung nach niederländischem Vorbild.

Doch dafür müssen die Bauernproteste zunächst einen nennenswerten Erfolg erreichen. „Es war schwer, einen Aktivisten mit einem klaren Plan zu finden. Jedem ist klar, daß es einer gewählten Regierung leicht fällt, einen Massenprotest zu ignorieren“, bemerkte Spectator-Redakteur Lloyd Evans, der bei dem Protest dabei war. Eine kleine Gruppe, die die Straße blockiert habe, sei versehentlich in einen propalästinensischen Protest geraten. Gegen die deutschen Bauernproteste im Januar, an denen mehr als 100.000 allein in Bayern teilnahmen, wirken 20.000 Landwirte auf den Straßen Londons klein und desorganisiert. Und Clarkson selbst hat erst einmal eine Botschaft an die Regierung: „Geben Sie zu, daß es übereilt war, daß es nicht durchdacht war – und ziehen Sie die Reform zurück. Das setzt Größe voraus!“

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