Herr Dr. Conrad, gestern wurde bekannt, daß das Innenministerium das „Compact“-Magazin beziehungsweise die es tragenden Firmen verboten hat. Ist es so einfach, in Deutschland ein Medium zu verbieten?
Christian Conrad: Tatsächlich ja. Das gestrige Verbot ist auf das Vereinsgesetz gestützt. Paragraph 3 Absatz 1 des Vereinsgesetzes fordert hier (nur) eine sogenannte Verbotsverfügung. Selbstverständlich sind hier zahlreiche und streng gehandhabte rechtliche Voraussetzungen zu beachten, aber faktisch erläßt die Verbotsbehörde – hier das Bundesinnenministerium – diese Verfügung. Damit ist ein Verein verboten und sein Vermögen wird beschlagnahmt et cetera. Der Verein kann dann nur nachträglich die Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns überprüfen lassen – das ist etwa bei politischen Parteien anders geregelt; dort steht ein etwaiges Verbot erst am Ende einer meist jahrelangen verfassungsgerichtlichen Auseinandersetzung.
Compact ist aber kein Verein. Greift hier trotzdem das Vereinsgesetz?
Conrad: Ja. Paragraph 2 Absatz 1 des Vereinsgesetzes bestimmt: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ Daß darunter auch Gesellschaften – wie hier etwa die COMPACT-Magazin GmbH – zu fassen sind, bestätigt etwa auch die Regelung des Paragraph 17 des Vereinsgesetzes.
Damit droht faktisch allen Medienunternehmen ein solches Verbot?
Conrad: Faktisch ja, wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Auch die „Axel Springer Deutschland GmbH“, die „taz Verlags und Vertriebs GmbH“ oder die „Süddeutsche Zeitung GmbH“ unterfielen theoretisch dem Vereinsgesetz. Sogenannte „Medienverbote“ werden daher aus Rechtsgründen zurecht sehr kritisch gesehen.
Greift hier denn nicht die Pressefreiheit aus Artikel 5 des Grundgesetzes?
Conrad: Doch. Die Pressefreiheit ist hier unmittelbar berührt. Meines Erachtens „passen“ die Regelungen des Vereinsgesetzes daher auch nicht auf den so wichtigen und grundrechtssensiblen Bereich der Presse – denken Sie nur einmal an das Redaktionsgeheimnis! Wenn der Staat in die Redaktionsräume eindringt und Briefe oder E-Mails von Informanten mitnimmt, berührt das etwa den Kernbereich der Pressefreiheit. Zudem besteht hier – ganz abstrakt – eine enorme Mißbrauchsgefahr, falls der Staat ihm mißliebige Meinungen und Ansichten unterbinden wollte, zumal sich das anschließende gerichtliche Überprüfungsverfahren über Jahre hinziehen kann. Ich plädiere daher bei Medienunternehmen für eine neue Regelung analog der Vorgaben zum Parteiverbotsverfahren in Artikel 21 des Grundgesetzes.
Bei „Compact“ bleibt es „spannend, ob das BMI alle verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigt hat“
Kann der Staat überhaupt so einfach ihm unliebsamen Meinungen auf diese Art bekämpfen?
Conrad: Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise in einer Entscheidung vom 13. Juli 2018 (1 BvR 1474/12, 1 BvR 670/13 und 1 BvR 57/14) ausgeführt, daß ein Vereinigungsverbot mit den Anforderungen des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren wäre, wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz der Pressefreiheit genießen (Rn. 93). Weiter heißt es in dem Beschluß (Rn. 108/114):
„Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz ist – auch unter Beachtung von Artikel 5 sowie Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz – kein Weltanschauungs- oder Gesinnungsverbot und zielt weder auf innere Haltungen noch auf bestimmte politische Überzeugungen. Selbst die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen oder bestimmter politischer Auffassungen überschreitet als solche nicht die Grenze der freien politischen Auseinandersetzung.
So wie das Grundgesetz die Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit garantiert, vertraut es mit der Vereinigungsfreiheit grundsätzlich auf die freie gesellschaftliche Assoziation und die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements im freien und offenen politischen Diskurs. Daher ist zur Rechtfertigung eines Vereinigungsverbotes entscheidend, ob die Vereinigung als solche nach außen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber den elementaren Grundsätzen der Verfassung einnimmt. (…)
Daher kann ein Vereinigungsverbot grundsätzlich weder allein auf Meinungsäußerungen gestützt werden, die verfassungsrechtlich durch Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz geschützt sind, noch sich auf andere Verhaltensweisen stützen, die durchgreifenden grundrechtlichen Schutz genießen. So darf sich ein Vereinigungsverbot, auch wenn es wegen einer Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung ergeht, nicht einseitig gegen bestimmte politische Anschauungen richten, da dies gegen das Benachteiligungsverbot aus Artikel. 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz verstieße“
Zudem findet sich in der Entscheidung der treffende Satz: „Ein Vereinigungsverbot darf nicht bewirken, daß auf diesem Wege untersagt wird, was die Freiheitsrechte sonst erlauben.“ Es bleibt daher spannend, abzuwarten, ob das BMI all diese strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigt hat.
Conrad: „Ich habe starke Zweifel, ob Karlsruhe diese Verbotsverfügung halten wird“
Wie geht es rechtlich nun weiter? Welche Möglichkeiten hat ein Medium, das über das Vereinsrecht verboten wurde, sich gegen die Verfügung zu wehren? Kann gleich das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet werden oder muß vorher ein anderer Rechtsweg beschritten werden?
Conrad: Zuständig für eine Klage gegen die Verbotsverfügung ist im ersten und letzten Rechtszug das Bundesverwaltungsgericht. Da das BMI die sogenannte „sofortige Vollziehung“ der Verbotsverfügung angeordnet hat, kann hiergegen auch ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angestrengt werden. Gegen eine nachteilige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts könnte dann das Bundesverfassungsgericht angerufen und hier eine Verletzung von Grundrechten gerügt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung der Pressefreiheit in vielen Urteilen ausdrücklich hervorgehoben. Wird Karlsruhe das Verbot ihrer Einschätzung nach kippen?
Eine Prognose ist natürlich schwierig, wenn man – wie wir – die Akten nicht kennt. Nach erster Durchsicht der Verbotsverfügung und der Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums habe ich aber starke Zweifel, ob Karlsruhe diese Verbotsverfügung halten wird. Das Innenministerium muß in seinen Akten, die es vorzulegen hat, nachweisen, daß es die genannten strengen Vorgaben der Rechtsprechung eingehalten hat. Hinzu kommen weitere rechtliche Fragen zur Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes auf Medienunternehmen, zum Zensurverbot oder zur Zuständigkeit des Bundes, die bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden wurden.
Und letztlich stellt sich auch die Frage, ob es hier nicht mildere Mittel gegeben hätte. In der genannten Entscheidung aus Juli 2018 hat das Bundesverfassungsgericht etwa angeführt, daß im Rahmen der Verhältnismäßigkeit immer auch zu prüfen ist, ob nicht weniger einschneidende Eingriffe in die Pressefreiheit wie etwa ein Verbot bestimmter Tätigkeiten des Verlags oder Maßnahmen gegen einzelne Mitglieder ausreichen könnten. Konkret benannt wurden etwa mögliche Veranstaltungsverbote, orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote oder Einschränkungen und Verbote von Versammlungen. Ob und wie das Innenministerium all das geprüft hat, dürften nun Gerichte klären.
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Dr. Christian Conrad ist Partner der Medienrechtskanzlei HÖCKER in Köln. Er leitet dort das Dezernat für „Öffentlich-rechtliches Äußerungsrecht“ und vertritt regelmäßig Mandanten vor den Zivil-, Verwaltungs- und Verfassungsgerichten.
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Quellenlink : Medienrechtsexperte der Kanzlei Höcker: Medienrechtsexperte der Kanzlei Höcker „Compact“-Verbot: „Es besteht eine enorme Mißbrauchsgefahr“