In den Debatten über den israelisch-palästinensischen Konflikt gibt es eine Reihe besonders polarisierender Reizbegriffe: „Apartheid“ ist so ein Terminus; und „ethnische Säuberung“ ein anderer. Zwei Bücher stellen diese Begriffe in ihren Mittelpunkt: „Apartheid in Palästina?“ von Kai Ambos und „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilan Pappe. Das erste Buch ist neu erschienen; Pappes Werk hingegen kam erstmals 2006 auf den Markt und liegt nun in der vierten Auflage neu vor.
Der Apartheid-Vorwurf gegen Israel hat in den vergangenen Jahren eine enorme Konjunktur erlebt: Eine Menschenrechtsorganisation nach der anderen machte ihn sich zu eigen. Der Vorwurf lautet: Palästinenser würden von Israel institutionalisiert diskriminiert. Die Debatte findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: zum einen auf einer juristischen, denn seit 1965 ist Apartheid völkerrechtlich verboten, seit 1973 auch völkerstrafrechtlich als Verbrechen markiert. Davon ist die politische Ebene zu unterscheiden, auf der der Apartheid-Vorwurf inzwischen als Kampfbegriff zur Delegitimierung Israels als jüdischer Staat eingesetzt wird.
Die Ausführung rechtlicher Aspekte beantwortet die entscheidende Frage nicht
In dieses Spannungsfeld tritt Ambos mit seinem Buch. Er ist Professor unter anderem für internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität in Göttingen und war Richter am Kosovo-Sondertribunal. Der Autor geht zunächst auf Herkunft, Entstehungsgeschichte und Verortung des Apartheidbegriffs ein. Anschließend beleuchtet er Geschichte und Praxis der Apartheid, indem er in die Entwicklung des südafrikanischen Apartheidregimes mit seiner strikten Rassentrennung einführt.
Im dritten Teil folgt dann die juristische Untersuchung im eigentlichen Sinne: Apartheid kennzeichnet sich demnach durch unmenschliche Behandlung, die institutionalisierte Unterdrückung einer „rassischen Gruppe“ durch eine andere und die Absicht, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Damit beschränkt sich der juristische Terminus nicht auf Zustände wie sie in Südafrika herrschten, sondern ist weiter gefaßt, wie Ambos festhält. Das ist zwar richtig; trotzdem ist anzumerken, daß im politischen Diskurs natürlich gilt: Wer Apartheid sagt, wird immer Bilder von nach Rassen getrennten Bänken oder Stränden evozieren, wie es sie in Südafrika gegeben hat – und in Israel selbstverständlich nicht!
Die rechtlichen Aspekte führt Ambos sehr technisch aus: Freunde der Juristerei kommen hier auf ihre Kosten. Wer allerdings erwartet, am Ende eine Antwort auf die Frage des Buches zu bekommen, wird enttäuscht. Für gerade einmal 123 Seiten Fließtext hat sich Ambos ein zu ambitioniertes Programm vorgenommen und muß entsprechend oberflächlich bleiben. Eine „Untersuchung“ ist das kaum, eher ein Essay, der einzelne Aspekte anreißt. Der Autor hat auch keine Vorortrecherchen geleistet.
Unbehagen an einem auch ethnisch definierten Nationalstaat
Entsprechend abstrakt bleibt er am Ende. Einerseits formuliert Ambos, es lasse sich „gut nachvollziehbar vertreten, daß in den besetzten Gebieten ein institutionalisiertes (Apartheid-)Regime existiert“. Andererseits betont er die Komplexität des Themas, die es „schwierig bis unmöglich“ mache, „zu zweifelsfreien, definitiven Erkenntnissen zu gelangen“ – ein Allgemeinplatz. Unmenschliche Behandlungen und systematische Unterdrückung erkennt der Autor noch, etwa in Form unterschiedlicher Rechtssysteme für Israelis und Palästinenser in den besetzten Gebieten. Die aber kann man historisch begründen. Daß dahinter eine Apartheidabsicht stecken soll, läßt sich hingegen schwer nachweisen, wie auch Ambos eingestehen muß.
Er versucht es trotzdem unter anderem mit dem sogenannten Nationalstaatsgesetz von 2018, das Israel zum Nationalstaat des jüdischen Volkes erklärte. Ein etwas ausgeleiertes, wenig valides Argument: Hier scheint eher ein grundsätzliches Unbehagen an einem auch ethnisch definierten Nationalstaat durch, das allzu schnell in den Apartheid-Vorwurf umschlägt. Immerhin wird so deutlich, wie sehr die Anklage auf tönernen Füßen steht. Daß Ambos den Buchtitel als Frage formulierte, dürfte aber auch mit seiner Angst vor dem Vorwurf des Antisemitismus zu tun haben, den er etwas krampfhaft in einem eigenen Kapitel zu entkräften versucht.
Pappe nennt sein Buch eine „Anklageschrift“ gegen den jüdischen Staat
Ilan Pappe ist da deutlich unbesorgter. Sein Titel läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig: „Die ethnische Säuberung Palästinas.“ Der Israeli Pappe wurde 1954 in Haifa als Sohn deutscher Juden geboren, engagierte sich in der kommunistischen Chadasch-Partei und lehrte an der Universität Haifa Politikwissenschaften. Gleichzeitig sprach er sich für den Boykott israelischer Hochschulen aus, so daß sein Abgang in Richtung Exeter im Jahr 2007 nur konsequent war.
Sein Buch dreht sich um ein historisches Ereignis: die israelische Staatsgründung 1948 und die in diesem Umfeld geschehene Flucht und Vertreibung von rund 700.000 Arabern, in der palästinensischen Geschichtsschreibung als „Nakba“ (Katastrophe) bezeichnet. Historiographisch verbinden sich damit konkurrierende Narrative. Die klassische israelische Erzählung lautet, die Araber hätten ihre Häuser auf Aufforderung der angreifenden arabischen Nachbarn verlassen. Einer abweichenden Erzählung zufolge gab es Vertreibungen, die jedoch aus der Dynamik des Krieges heraus entstanden seien, jedenfalls keinem großen Transferplan folgten. Pappe hingegen versucht „das Paradigma der ethnischen Säuberung“ zu etablieren, wie er selbst sagt. Sein Buch sieht er als „Anklageschrift“ gegen Israel.
David Ben Gurion als Architekt ethnischer Säuberungen?
Dabei geht der Autor chronologisch vor. Zunächst beschreibt er die Vorgeschichte des 1948er-Krieges. Für ihn ist der Zionismus von seinen Wurzeln her eine „siedlerkolonialistische Ideologie“, die zwangsweise auf die „ethnische Säuberung Palästinas“ hinauslief. Schon vor dem Krieg seien sogenannte „Dorfdossiers“ angelegt worden, die Ortschaften und Personen markiert und gelistet hätten. Auf diese Papiere sei bei den Säuberungen zurückgegriffen worden.
Auf deren Umsetzung geht Pappe im Hauptteil ein. Insgesamt seien 531 Dörfer zerstört und elf Stadtteile entvölkert worden. Detailliert beschreibt der Autor einzelne Massaker und wandert von Dorf zu Dorf. Die Quellenlage ist teils dünn, die Schilderungen langatmig. Eine zentrale Rolle spielt für den Autor der sogenannte „Plan Dalet“, den er als eine Art Masterplan der Säuberungen interpretiert, die insbesondere von einem ominösen „Beratergremium“ verantwortet worden seien. Als ihr „Architekt“ wird Staatsgründer David Ben Gurion benannt. Der Krieg mit den Arabern sei für das alles nur ein Vorwand gewesen, die arabische Invasion eine viel zu späte Notwehr.
Das Buch rundet Pappe schließlich mit der These eines „Memorizids“ ab: Auf die Säuberungen folgte demnach eine gezielte Vernichtung der Erinnerung daran, etwa indem Hinweise auf einstmals bestehende palästinensische Ortschaften ausgelöscht worden seien. Letztlich sieht der Autor eine lange Kontinuität der ethnischen Säuberungen von den Anfängen des Zionismus bis in die Gegenwart.
Pappe offenbart unangenehmen israelischen Selbsthaß
Israelische Historiker haben Pappes Ausführungen detailliert widerlegt, etwa seiner Interpretation des „Plan Dalet“ widersprochen. Insgesamt ist das Buch im Zwang der starren Dichotomien gefangen: Hier die aggressiven Israelis, da die hilflosen, gar lethargischen Palästinenser; hier die kolonisatorischen Unterdrücker, da die Unterdrückten; hier die „trostlosen“, „wuchernden“ israelischen Städte, da die romantisierend beschriebenen, bodenverbundenen Palästinenserorte von einst. Es sprießt hier teilweise ein Selbsthaß hervor, der eine sehr unangenehme Note hat.
Und so verwundert es nicht, daß Pappe sogar für Hamas und Hisbollah lobende Worte findet, „die Israels Recht, Palästina einseitig seinen Willen aufzuzwingen, in Frage zu stellen wagen“. Wie Hohn muß einer seiner letzten Sätze auf die vielen israelischen Terroropfer wirken: „Daß Frieden in Reichweite ist, wissen wir vor allem von der Mehrheit der Palästinenser, die sich von den Jahrzehnten brutaler israelischer Besatzung nicht haben entmenschlichen lassen und die trotz jahrelanger Vertreibung und Unterdrückung immer noch auf Versöhnung hoffen.“
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Quellenlink : Literatur über den Nahost-Konflikt: Literatur über den Nahost-Konflikt Wie Israel-Kritiker mit Reizvokabeln jonglieren