Krieg in NahostIsraels Armee schlägt massiv zu, aber bislang noch ohne Bodenoffensive

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Der Krieg der Hamas und weiterer Terrorgruppen gegen Israel geht in seine zweite Woche. Mittlerweile hat sich die Situation an der israelischen Heimatfront stabilisiert. Die israelische Armee konnte die Terroristen im Süden des Landes nach schweren mehrtägigen Kämpfen eliminieren und hat das Gebiet um den Gazastreifen zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Die Zahl der toten Israelis hat sich bei mindestens 1.300 eingependelt.

Während in den Nächten zuletzt Ruhe herrschte, feuern palästinensische Terrorgruppen aus dem Gazastreifen am Tag weiter Raketen auf israelisches Gebiet. Am Samstag etwa heulten erneut die Sirenen in Tel Aviv und Be’er Scheva. In den letzten Tagen hatte die Hamas zudem ihre Raketen längerer Reichweite ausgepackt und so Alarm in Galiläa in Nordisrael ausgelöst. Immer wieder kommt es auch zu Einschlägen.

Nicht nur wegen des Beschusses hat sich der Krieg in den israelischen Alltag eingefressen: Zahlreiche Israelis sind zu Flüchtlingen im eigenen Land geworden, leben jetzt etwa in Hotels in Eilat am Roten Meer oder in Kibbutzim in Zentralisrael. Viele vermissen Angehörige, die in den Gazastreifen verschleppt wurden.

Überall finden Beerdigungen statt. Gleichzeitig sind mehr als 300.000 Reservisten eingezogen worden. Einige Israelis sind dafür extra aus dem Ausland zurückgekommen. Zuhause hinterlassen die oft jungen Soldaten Eltern, Ehepartner und Kinder in Sorge.

„Chirurgische Operation“

Für die Kriegsführung der israelischen Armee hat nach wie vor der Gazastreifen höchste Priorität, von dem die Terroroffensive der Hamas vor einer Woche ausging. Seitdem nimmt „Zahal“, wie die Armee auf Hebräisch genannt wird, tausende Ziele und führende Hamas-Mitglieder vom Land, aus der Luft und vom Meer ins Visier. Sie spricht von einem „präzedenzlosen“ Ausmaß der Angriffe.

Omer Tischler, Stabschef der Luftwaffe, stellte vor einigen Tagen gegenüber Journalisten klar, diese Operation sei nicht „chirurgisch“ und zugleich „nicht vergleichbar mit früheren Malen“. Er deutete auch an, dass die Praxis des „Dachklopfens“, mit der Zivilisten vor bevorstehenden Angriff gewarnt werden, mindestens teilweise nicht zur Anwendung kommt: „Wo sich ein Feind befindet und wir ihn vernichten wollen – da gibt es kein Dachklopfen“.

Nach wie vor ist fraglich, ob es die Armee bei der bloßen Fortführung der aktuellen Angriffe „von außen“ belassen kann. Politisch lässt sich die in den vergangenen Jahren stets ventilierte Behauptung, die Hamas könne so nachhaltig geschwächt werden, nun jedenfalls nur noch schwer verkaufen. Außerdem hat die politische und militärische Führung dieses Mal das Ziel ausgegeben, die Hamas zu zerstören.

Sorge um 150 Geiseln

Damit steht weiterhin die Option einer Bodenoffensive im Raum, die aber neue Probleme mit sich bringt: Zahlreiche Soldaten werden im Häuser- und Tunnelkampf den Tod finden. Zudem stellt sich die Frage, wie es nach einer Ausschaltung der Hamas weitergehen soll. Israel müsste entweder wieder eine dauerhafte Besatzung in der 2005 geräumten Küstenenklave antreten oder anderweitig für eine neue Regierung sorgen. Armee-Sprecher Daniel Chagari ließ am Freitag lediglich verlauten, man bereite sich weiter „auf die nächsten Kriegsphasen vor“.

Sorgenvoll blickt das Land nach wie vor auch auf die wohl rund 150 Geiseln, die die Hamas genommen hat. Jaron Blum, bis zum vergangenen Jahr Koordinator Israels für Gefangene und Vermisste, prophezeite am Freitag gegenüber dem israelischen Magazin „Globes“, die Hamas werde im weiteren Verlauf des Krieges Videos über die Geiseln in die Welt senden, „um so die israelische Regierung zu manipulieren und Druck auf sie zu erhöhen, damit sie den Krieg beendet“.

Die Armee ist aber nicht nur am und im Gazastreifen massiv gefordert: Äußerst angespannt bleibt die Lage an der Grenze zum Libanon, wo ein weiterer Krieg mit der Hisbollah droht; die Schiiten-Terrorgruppe verfügt über ein ungleich stärkeres Waffenpotential als die Hamas. Dass die Nerven mit Blick auf die Gefahr einer zweiten Front teilweise blank liegen, hatte man am Mittwoch sehen können, als das Heimatfrontkommando Alarm in ganz Galiläa und auf den Golanhöhen auslöste: Gerüchte gingen um, es seien massenhaft Drohnen oder Paragleiter ins Land eingedrungen – ein Fehlalarm.

„Bis dato punktuelle Vorfälle“

Keiner weiß, was Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah wirklich vorhat: Will er voll eskalieren und in einen Krieg einsteigen? Oder es bei kleinen, wenn auch teils tödlichen militärischen Nadelstichen belassen? Seit Beginn des Kriegs hat die Hisbollah wiederholt Geschosse nach Israel gefeuert, zuletzt auch wieder am Samstag. Zudem versuchten Drohnen und Terroristen ins Land einzudringen. Diese Angriffe beschränkten sich bislang auf das unmittelbare Grenzgebiet. „Bis dato handelt es sich um punktuelle Vorfälle“, heißt es auch aus der Armee.

Der frühere Chef des israelischen Militärgeheimdienstes AMAN, Tamir Hajman, äußerte am Freitag jedoch die Sorge, dass Nasrallah einer Fehleinschätzung erliegen könnte: „Sein Selbstbewusstsein lässt ihn denken, dass er eskalieren kann, ohne in einem Krieg zu landen. Dieser Denkfehler könne uns in den kommenden Tagen zur Eröffnung einer zweiten Front führen.“

Internationale Aufmerksamkeit wird in nächster Zeit indes vor allem auch das Schicksal der Palästinenser im Gazastreifen auf sich ziehen. Die israelische Armee hat die Bevölkerung im Norden der Küstenenklave mit massenhaft abgeworfenen Flugblättern dazu aufgefordert, bis Samstagnachmittag hinter den Wadi Gaza zu fliehen. Dies betrifft nach Schätzungen mehr als eine Millionen Menschen.

Flucht nach Ägypten kaum möglich

Das Hauptproblem besteht darin, daß eine Flucht aus dem Gazastreifen heraus bislang nicht möglich ist: Ägyptens Präsident Abd al-Fattah as-Sisi, der den Grenzübergang Rafach zur Sinai-Halbinsel kontrolliert, hatte bereits am Donnerstag erklärt, die Palästinenser sollten „standhaft auf ihrem Land bleiben“. Sisi muß eine Destabilisierung seines Regimes durch eine massenhafte Fluchtbewegung befürchten. Damit wiederholt sich das teils selbst verschuldete Schicksal der Palästinenser, auch von den arabischen Nachbarländern nicht gewollt zu sein.

In Israel fürchtet man nun, daß die internationale Unterstützung für einen massiven militärischen Gegenschlag gegen die Hamas rapide abnimmt, falls es im Gazastreifen zu einer Eskalation der humanitären Krise kommt. UN-Generalsekretär António Guterres schrieb bereits am Freitag in der New York Times, jede Forderung nach einer kurzfristigen Massenevakuierung im Gazastreifen könne „vernichtende humanitäre Folgen“ haben: „Als UN-Generalsekretär appelliere ich an die israelischen Behörden, dies zu überdenken.“

Die Hamas weiß darum, daß Israel durch internationalen Druck angreifbar ist. Auf ihrem Telegram-Propagandakanal sendet sie vermehrt englischsprachige Mitteilungen über angebliche israelische „Verbrechen und Massaker“ in die Welt. Schon bald wird man sehen, wie empfänglich die internationale Öffentlichkeit dafür ist.

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