ERFURT. Eklat im Thüringer Landtag. Die konstituierende Sitzung des Parlaments in Erfurt ist am Donnerstag vom Streit über Tages- und Geschäftsordnung überschattet worden. Die Sitzung wurde mehrfach unterbrochen, die Fraktionen von CDU, BSW, SPD und Linke protestierten gegen die Sitzungsleitung des Alterspräsidenten Jürgen Treutler (AfD).
Vehement wurde dessen Auslegungen zur Geschäftsordnung und zum Ablauf der Sitzung bestritten. Treutler hatte sich zudem geweigert, über Geschäftsordnungsanträge unmittelbar abstimmen zu lassen.
„Was Sie hier machen, ist Machtergreifung“, warf der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, dem sitzungsleitenden Treutler vor. Der erteilte dem CDU-Politiker zwei aufeinanderfolgende Ordnungsrufe.
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Alterspräsident spricht von „Verachtung des Volkes“
Anlaß war zunächst ein Geschäftsordnungsantrag Bühls, der die Feststellung der Beschlußfähigkeit und eine anschließende Wahl der Schriftführer verlangte. Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) wollte jedoch erst die Tagesordnung verlesen, woraufhin ihm der CDU-Politiker fehlende Überparteilichkeit vorwarf. Der Alterspräsident habe lediglich zeremonielle Funktion und müsse den Geschäftsordnungsantrag der CDU zwingend verhandeln lassen, dies sehe das Selbstverwaltungsrecht des Parlaments vor, so Bühl.
Bereits kurz nach Eröffnung hatte Treutler die Sitzung unterbrechen lassen, da die CDU die Beschlußfähigkeit des Landtags feststellen lassen wollte. Die Parlamentarischen Geschäftsführer einigten sich daraufhin jedoch, daß der Alterspräsident zunächst seine Rede halten könne.
In der lobte Treutler die hohe Wahlbeteiligung und kritisierte jene Kommentare in den Medien, die in diesem Ergebnis der Wahl nichts Positives sehen wollten. Daraus, so der Alterspräsident, spreche eine „Verachtung des Volkes“.
Empörung über Knigge-Bruch
Vielmehr sei der Wille der Wähler mit dem Ergebnis vom 1. September zum Ausdruck gekommen. Dieses Ergebnis sei nicht nur ein mathematisches, sondern vor allem ein politisches, betonte Treutler.
Wert legte er in seiner Rede auch darauf, daß nach der geltenden Geschäftsordnung erst die Wahl einer Landtagspräsidentin oder eines -präsidenten vorzunehmen sei. Dieses Amt stehe von jeher der stärksten Fraktion zu. Dies ist im neuen Landtag die AfD. Von dieser üblichen parlamentarischen Gepflogenheit sei man noch nie abgewichen: „Die Wähler erwarten, daß wir dem gerecht werden“, forderte der Alterspräsident.
Genau darum war aber bereits im Vorfeld gestritten worden. In einem Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung wollten CDU und BSW erreichen, daß nicht nur der stärksten Fraktion das Vorschlagsrecht für den Parlamentspräsidenten zusteht, sondern auch alle anderen Fraktionen einen Kandidaten benennen dürfen. Linkspartei und SPD hatten ihre Zustimmung signalisiert.
AfD schickt Muhsal ins Rennen
Voraussetzung für diese Änderung war jedoch, daß die Tagesordnung der konstituierenden Sitzung geändert wird und die Änderung der Geschäftsordnung vor der Wahl des Landtagspräsidiums stattfindet. Treutler hatte beabsichtigt, vor der Feststellung der Beschlußfähigkeit erst die Tagesordnung in ihrer bisherigen Form zu verlesen.
Der von der AfD-Fraktion beauftragte Staatsrechtler Michael Elicker kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß für die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags die in seiner bisher geltenden Geschäftsordnung festgelegte Tagesordnung bindend ist. Sie sieht vor, daß nach der Feststellung der Beschlußfähigkeit der Landtagspräsident gewählt wird. Das Vorschlagsrecht hat dabei zunächst die stärkste Fraktion. Gewählt ist, wer die Mehrheit der gültigen Stimmen bekommt.
Als Kandidatin für das Präsidentenamt schickte die AfD die Landtagsabgeordnete Wiebke Muhsal ins Rennen. Die 38jährige Juristin hatte am 1. September in ihrem Wahlkreis das Direktmandat geholt – gegen den CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt.
Die Union stellt einen starken Kandidaten
Vertreter anderer Fraktionen hatten die Kandidatur Muhsals für das Landtagspräsidentenamt als „Provokation“ bezeichnet. Die Abgeordnete, die dem Landtag bereits von 2014 bis 2019 angehörte, war damals zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie den Arbeitsvertrag mit einer Mitarbeiterin um zwei Monate vordatiert hatte, um zusätzliches Geld von der Landtagsverwaltung zu erhalten.
Der noch amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) warf der AfD in diesem Zusammenhang vor, zum wiederholten Mal ein Verfassungsorgan beschädigt zu haben.
Für die Union und als möglicher Konsenskandidat gegen die AfD soll Thadäus König auf den Posten des Landtagspräsidenten. Der 42jährige CDU-Politiker stammt aus dem sehr katholisch geprägten Eichsfeld, einer traditionell „schwarzen“ Hochburg, und hatte landesweit das beste Erststimmenergebnis eingefahren.
Der Landtag schließt und vertagt
Nach mehreren weiteren Unterbrechungen wurde die Sitzung des Landtages endgültig um 16:11 Uhr geschlossen – Fortsetzung der konstituierenden Versammlung am kommenden Samstag, 9 Uhr.
Zuvor hatten die Parlamentarischen Geschäftsführer der vier Fraktionen Gelegenheit, ihre unterschiedlichen Rechtsauffassungen deutlich zu machen. Zum Schluß hatte Treutler dem Geschäftsführer der CDU, Andreas Bühl, das Wort erteilt. Dieser hatte angekündigt, das Thüringer Verfassungsgericht anzurufen. Das soll nun über den verbindlichen Ablauf entscheiden.
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Quellenlink : Konstituierende Sitzung in Erfurt: Konstituierende Sitzung in Erfurt Thüringen: Wenn der Landtag zum Boxring wird