Daß wegen eines Radwegs Anwohnern der Verlust ihrer Wohnung droht, ist selbst in der an Irrsinn nicht gerade armen Stadt Berlin eine echte Sensationsmeldung. Doch was sich wahlweise nach Aprilscherz oder Schildbürgerstreich anhört, könnte – wenn es zum Äußersten käme – Realität werden. Ab Ende kommender Woche besteht jedenfalls die Möglichkeit, daß bei manchen Bewohnern des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf ein Schreiben der Bauaufsicht eintrudelt, in dem eine sogenannte „Nutzungsuntersagung“ für die von ihnen bewohnten vier Wände angekündigt wird, sofern sich diese im dritten Stock des jeweiligen Hauses oder darüber befinden. Begründung: Im Falle eines Brandes könne die Feuerwehr nicht mit einer Drehleiter zu Hilfe kommen.
Hintergrund dieser schier unglaublich klingenden Posse ist ein Streit um die Verkehrspolitik zwischen dem Bezirk und der Landesregierung. 2020 hatte die damalige Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) sogenannte „Pop-up-Radwege“ – unter tosendem Beifall der Deutschen Umwelthilfe – errichten lassen. Dazu wurde bei mehrspurigen Fahrbahnen eine für den Autoverkehr gesperrt und in einen Radweg umgewidmet. Auch die zuvor vierspurige Kantstraße in Charlottenburg. Ausgerechnet hier, wo im frühen 20. Jahrhundert Musiker, Maler, Bildhauer und Schauspieler residierten, die ihre luxuriösen Mercedes- oder Horch-Limousinen stilvoll im „Kant-Garagenpalast“ abstellten, dem ersten Parkhaus Europas mit doppelgängiger Wendelrampe.
Radweg über alles
Doch das grüne „Fahrrad first“-Diktat war unerbittlich, und so mußte eine Fahrspur weichen. Die Besonderheit hier: Die jeweils rechte Fahrbahn wurde zum Parkstreifen, der bisherige Parkstreifen zum Radweg. So sollten Unfälle vermieden werden, bei denen die Pedalritter durch eine unachtsam geöffnete Fahrertür vom Drahtesel geworfen werden könnten. Für motorisierte Verkehrsteilnehmer bleibt nur die jeweilige Fahrspur in der Mitte. Und genau das führt zum eingangs erwähnten Problem für die Brandbekämpfer.
Denn der durch die Umwandlungen verbliebene Platz reicht nicht aus, um ein Drehleiterfahrzeug der Feuerwehr so abzustellen, daß es seine Stützen ausfahren kann. Die wiederum sind nötig für die Stabilität, wenn die Leiter so weit ausgefahren wird, daß damit die oberen Stockwerke der anliegenden Gebäude erreicht werden können. Und – so die nicht ganz unlogische Schlußfolgerung der Bezirksverwaltung – wo im Ernstfall nicht gelöscht oder gerettet werden kann, darf auch nicht gewohnt werden. Darauf habe die Feuerwehr stets hingewiesen.
Der Senat bleibt untätig
Bemühungen, die Situation in der Bezirksversammlung zu lösen, verliefen sich bisher im Sande. Ein entsprechender Antrag der FDP-Fraktion wurde im April 2021 abgelehnt. Gehandelt hat auch der Senat bisher nicht, obwohl das Verkehrsressort mittlerweile in CDU-Hand ist. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ließ die Pressestelle verlauten: „Bitte wenden Sie sich an den dafür zuständigen Bezirk.“ Der Senat will nicht zuständig sein.
Die Androhung des Bezirks, in der Kantstraße ab dem dritten Stock das Wohnen zu untersagen, dürfte also in erster Linie als ein Weckruf zu verstehen sein. Denn daß der Streit derart eskaliert und in der ohnehin unter akutem Wohnraummangel leidenden Hauptstadt das Angebot weiter verknappt wird, mag sich so recht niemand vorstellen. Bliebe noch als gesichtswahrender Ausweg der Plan, den Parkstreifen durch eine Busspur zu ersetzen. Verlierer wären die Autofahrer, die nicht nur weniger Platz zum Fahren, sondern auch keinen Platz mehr zum Parken hätten. Außer sie haben eine Drehleiter.
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Quellenlink : Kantstraße: Kantstraße Leider keine Leiter: Wenn Mieter ihre Wohnung wegen eines Radwegs verlieren