Es besteht in Deutschland eine sonderbar-symbiotische Verbindung zwischen der politischen Großwetterlage des Landes und den Erfolgen der deutschen Nationalmannschaft. Der Tag des ersten WM-Titels am 4. Juli 1954 gilt vielen nur halb im Spaß gemeint als wahres Gründungsdatum der Bundesrepublik. Der zweite Sieg bei der Heim-WM zwanzig Jahre später fiel in die Spätphase der Wirtschaftswunderjahre und der von weiten Teilen des Landes unterstützten gesellschaftspolitischen Liberalisierung als Ergebnis der Kulturrevolution von 1968.
Der Titelgewinn in Rom im Juli 1990 zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung paßte genau zum nationalen Freudentaumel dieser historischen Monate. Und 2014 schließlich war Deutschland das unangefochtene wirtschaftliche und politische Machtzentrum Europas, was sich in WM-Titel Nummer vier materialisierte. Doch mischten sich hier bereits andere Töne in die Freude über den sportlichen Triumph in Brasilien. Nicht das alte Deutschland habe den Titel errungen, so die Dauerbeschallung des polit-medialen Establishments, sondern das neue weltoffene Multikultideutschland von Boateng, Khedira und Özil.
Heute, zehn Jahre später, erscheint dieses Framing angesichts der totalen Politisierung sämtlicher Bereiche des öffentlichen Raumes geradezu harmlos. Heute kämpft der Fußball gegen Rechts, den Klimawandel, Homophobie und Rassismus, wirbt für Impfungen und Diversität und zeigt Haltung gegen Rußland – nicht aber gegen islamistische Ausfälle zahlreicher Fußballprofis.
„Im Idealfall erweist sich Sport als Quelle des Vergnügens“
Daß dieser politische Aktivismus dem Erfolg der „Mannschaft“ nicht zuträglich war, bewiesen ihr frühes Ausscheiden bei großen Turnieren seit 2018. In seinem neuen Buch „Fußball war unser Leben“ untersucht der Germanist und passionierte Fußballfan Günter Scholdt den Zusammenhang zwischen Kommerzialisierung und Politisierung des Lieblingssports der Deutschen und erkennt dabei auch totalitäre Tendenzen, die über das rein Sportliche hinausgehen.
Was ist die Funktion von Sport? Inwiefern hat sich der heutige Sport davon entfernt? Zu Beginn des Buches kontrastiert Scholdt das Idealbild und den aktuellen degenerierten Zustand, um diesen im weiteren Verlauf näher auszuleuchten: „Im Idealfall erweist sich Sport als Quelle des Vergnügens, befriedigt elementare körperliche und seelische Bedürfnisse, verdichtet Leben. Im schlimmsten (heute gängigen) Fall zeigt er sich nur mehr als Surrogat einer tatsächlich gefühlten Existenz, verdrängt Notwendiges aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit, bietet Prekärem eine leuchtende Fassade oder unterminiert staatsbürgerliche Verantwortung, indem er sich kommerziell und tagespolitisch korrumpieren läßt.“ Sport im allgemeinen und Fußball im besonderem, so Scholdt, sei zu einem Instrument der Postdemokratie verkommen, welche keine politikfreien Räume mehr gestatte, sondern die Menschen 24 Stunden am Tag der herrschenden Weltanschauung aussetze.
Die demokratischen Institutionen bestehen zwar pro forma weiter, sind aber nur noch Fassade, um etwa durch Wahlen und parlamentarische Verfahren, deren Ergebnisse weitestgehend vorher feststehen, der herrschenden Ideologie eine Scheinlegitimität zu verleihen. Kritiker halten dem entgegen, daß es einen völlig politikbefreiten Sport nie gegeben habe. Selbst bei den Olympischen Spielen der Antike hätten sich gutbetuchte Gönner mit politischen Ambitionen durch Zuwendungen an Athleten einen Vorteil zu verschaffen versucht.
Kimmich hielt dem Druck der Haßkampagne nicht stand
Das ist nicht wirklich falsch, doch verkennt es das allumfassende Ausmaß der heutigen Zustände, wie Scholdt zu Recht festhält: „Sport ist inzwischen schlicht zur Politdomäne geworden und unterliegt deren Rahmenbedingungen oder Framing-Sprechblasen. Das Neue liegt in der Penetranz. Denn erst die Dosis macht das Gift.“
All jenen, die sich brav innerhalb dieser „Framing-Sprechblasen“ bewegen, wird medial gehuldigt, da sie Werte vorlebten und gesellschaftspolitisch Haltung zeigen würden. Christian Streich, Jürgen Klopp oder Leon Goretzka gehören zu den Lieblingen des Establishments, gerade weil sie noch nie durch eine nonkonforme Meinung aufgefallen sind. Abweichende Ansichten hingegen werden erbarmungslos attackiert, wie Joshua Kimmich und Tennis-Star Novak Djokovic feststellen mußten, die während der Pandemie erklärten, sich nicht gegen Corona impfen lassen zu wollen. Kimmich hielt dem Druck der folgenden medialen Haßkampagne nicht stand und ließ sich wenig später doch impfen, wie triumphal vermeldet wurde.
Djokovic hingegen zeigte der Welt, was es wirklich bedeutet, Haltung zu zeigen, verweigerte weiterhin die Impfung und gewinnt seitdem einen Titel nach dem anderen. Scholdt beschäftigt sich eingehend mit den Phänomenen Antirassismus und LGTBQ, die eine machtvolle Allianz mit globalen Firmen und Geldgebern eingegangen sind, was zur Herausbildung eines woke capitalism geführt hat. In dieser Verbindung aus Ökonomisierung und Moralisierung des öffentlichen Raumes liegt der Erfolg der progressiven Ideologie, die sich hinter den Schlagworten Diversität, Inklusion und Gleichstellung verbirgt, begründet.
Fußball ist systemstabilisierend
So haben sich Vereine wie Werder Bremen, St. Pauli, Freiburg oder die Volkswagendependance VfL Wolfsburg ganz der Regenbogen-ideologie verschrieben und ihre Stadien mit den entsprechenden Fahnen versehen. Gerade Bremen und St. Pauli als dezidiert kapitalismuskritische Vereine zeigen, daß linke moralische Überheblichkeit und Millionenprofite anscheinend doch bestens miteinander harmonieren können.
Daß der Fußball auf Vereinsebene boomt wie noch nie, beweist die anhaltende Faszination dieses Sports, dessen Kern auch im Zeitalter der Hyperkapitalisierung noch intakt ist. Es zeigt auch die Sehnsucht des einzelnen nach Identität und Zugehörigkeit in Zeiten von Entwurzelung und Globalismus. Fußball kanalisiert das kriegerische Potential einer Gesellschaft in halbwegs friedliche Bahnen und wirkt somit systemstabilisierend nach innen.
Die Entfremdung, die immer mehr Menschen gegenüber den moralpolitischen Exzessen ihrer Vereinsmannschaft im allgemeinen und der Nationalmannschaft im besonderen spüren, ist mehr als nur ein Verlust an Heimat, so gravierend dies für den einzelnen Fan auch ist. Gesamtgesellschaftlich gesehen erleben wir gerade die Zerstörung eines der letzten einigenden Bänder, die uns noch zusammenhalten. Fußball verbindet, heißt es zu Recht.
Das ist schon jetzt Totalitarismus pur
Doch Millionen Menschen, die als rechts markierte Positionen vertreten, befinden sich mittlerweile auch in „ihrem“ Stadion in Feindesland, in dem sie Hausverbot erhielten, würden sie offen zu ihrer politischen Gesinnung stehen. Das hat nichts mehr mit Haltung zeigen zu tun, das ist schon jetzt Totalitarismus pur.
Scholdt erwähnt einen humorigen Internetfund, in dem jemand dem FC Bayern empfiehlt, Bayer Leverkusen doch vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. In der Politik sei dieses Mittel der Konkurrenzbekämpfung doch auch gerade angesagt. Angesichts der anstehenden EM im eigenen Land sei dieser Sinn für Humor jedem echten Fußballfan dringend angeraten.
Es droht eine Propagandaveranstaltung, die alles Bisherige in den Schatten stellen wird. Turnierdirektor Philipp Lahm hat bereits mehrere Antirassismus- und Vielfaltskampagnen angekündigt. Zudem werde er natürlich nicht mit dem Hubschrauber von Spielort zu Spielort reisen, um ein Zeichen für Nachhaltigkeit zu setzen. Das vorliegende Buch ist Pflichtlektüre für alle, die die Mechanismen hinter dieser anhaltenden Politisierung des Sports verstehen wollen.
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Quellenlink : JF-Buchrezension: JF-Buchrezension Fußball, von der Postdemokratie instrumentalisiert