Filmkritik: Filmkritik „They See You“ – Von dunklen Wesen und subtiler Gesellschaftskritik

Es war einmal ein Regisseur, der hatte eine phantastische Idee, machte daraus einen spektakulären Film, der auch spektakulär erfolgreich war, und versuchte anschließend, diese Erfolgsformel erneut zur Anwendung zu bringen. Aber leider gelang es ihm nie so richtig. So auf das Wesentliche reduziert läßt sich die Kinokarriere des indischstämmigen Regisseurs M. Night Shyamalan zusammenfassen.

Der spektakuläre Erfolgsfilm hieß „The Sixth Sense“ und bescherte Hauptdarsteller Bruce Willis 1999 einen seiner zahlreichen Karrierehöhepunkte. Die geniale Wendung am Schluß ist das Salz in der Suppe dieses Schauermärchens, aber so eine geniale Wendung fällt einem womöglich nur einmal im Leben ein. Mit „The Village“ (2004) und der vor drei Jahren in die Kinos gekommenen Parabel „Old“ (2021) gelangen dem Filmemacher immerhin zwei durchaus originelle Variationen seines Prinzips, den Zuschauer am Ende mit einem Clou zu verblüffen.

Nun hat der Meisterregisseur seine Tochter Ishana Night Shyamalan ans Ruder gelassen. Er selbst fungiert bei ihrem Debütfilm als Produzent. Und natürlich ist die Handschrift des Gruselvirtuosen unverkennbar, auch wenn die 23jährige allein für Regie und Drehbuch verantwortlich war. Letzteres hat sie allerdings nicht aus dem Handgelenk geschüttelt; es handelt sich um die Adaption des Romans „The Watchers“ (2021) von A. M. Shine. So heißt „They See You“, der parallel in den USA anläuft, im Original. Doch dieser Titel war dem Verleih, Warner Bros. Deutschland, offenbar nicht englisch genug. Man kennt das.

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Der Wald zieht verlorene Seelen an

In der Grafschaft Galway am entlegenen Rand Irlands liegt ein Wald, der sich auf keiner Landkarte findet. Und es heißt, er ziehe verlorene Seelen an. Das ist die geheimnisvolle Vorrede zur neuesten Mystikstunde aus dem Hause Shyamalan. Und wie immer, wenn dieser Name auf einem Produkt draufsteht, darf man auf keinen Fall zu viel verraten, um dem Zuschauer die Spannung zu lassen.

Immerhin eines kann gesagt werden: Auch diesmal ist das Personal überschaubar. Wir treffen zunächst den durch einen dichten, dunklen Wald irrenden John, der von mysteriösen Wesen verfolgt wird. Wir erblicken mit ihm ein verwittertes Schild, auf dem steht: „Point of no return“, also der „Punkt ohne Wiederkehr“.

Danach lernen wir mit der attraktiven Blondine Mina (Dakota Fanning) die Hauptfigur der Shyamalan-Schauermär kennen. Es ist der 15. Jahrestag des tragischen Unfalls, durch den sie ihre Mutter verlor, als sie sich mit dem Auto aufmacht, einen Vogel aus der Gattung der Kleinpapageien auszuliefern. Ein Anruf ihrer Zwillingsschwester Lucy (Dakota Fanning) macht deutlich: Um Mina muß man sich Sorgen machen.

Und dann ist da ein Bunker

Unterwegs versagt ihr mitten in einem riesigen Waldgebiet die Zündung. Und da steht sie nun. Es wird dunkel und kalt, und seltsame Geräusche irritieren die 28jährige. Die verstörenden Umrisse fremder Wesen verheißen Unheil. Schließlich tut sich irgendwo im Nirgendwo die Tür zu einem Bunker auf, in dem sich drei weitere Personen befinden: der jugendliche Daniel (Oliver Finnegan), Ciara (Georgina Campbell), die Frau des verschollenen John, und die ehemalige Universitätsprofessorin Madeline (Olwen Fouéré).

Letztere ist in die dunklen Geheimnisse des Bunkers im Wald eingeweiht. Eine Wand des würfelförmigen Gebäudes besteht aus einem verspiegelten Fenster, das die unheimlichen Kreaturen, die da draußen nachts ihr Unwesen treiben, als Fernseher nutzen: Nacht für Nacht finden die phantastischen Waldwesen sich davor ein, um den Menschen bei einer bizarren Reality-Show zuzuschauen.

Eine Querdenkerin rebelliert

Folgende Regeln schärft Madeline ihren Mitgefangen ein: niemals den Wesen auf die Pelle rücken, nie nachts den Bunker verlassen, nie die Tür zum Bunker offenlassen, nie versuchen, den Wald zu verlassen. Denn das ist nur bei Tageslicht möglich, ein Tag indes zu kurz, um das Gehölz zu Fuß zu durchqueren.

Doch Mina sind diese Regeln zu strikt. Sie erweist sich als gefährliche Querdenkerin und macht sich gemeinsam mit Daniel auf, um einen der Schächte zu untersuchen, die den Kreaturen tagsüber als Refugium dienen. Sie findet darin ein altes Fahrrad und birgt es. Könnte es damit gelingen, den Wald zu verlassen?

„They See You“ wirkt wie eine Collage von bereits Bekanntem

Trotz eines durchaus originellen Grundansatzes und einiger geistreicher Ideen ist „They See You“ unter dem Strich nicht mehr als ein Nullachtfünfzehn-Horrorfilm in Hochglanzoptik. Zu den geistreichen Ideen gehört das ironische Spiel mit der zweifelhaften Errungenschaft der sogenannten Reality-Shows, in denen Menschen sich gegen Geld für ein breites Publikum zum Narren machen, eine Perversion gleichsam der TV-Unterhaltung, die der Film gekonnt persifliert.

Der Rest der Gruselgeschichte wirkt jedoch eklektizistisch zusammengeklaut aus Elementen der TV-Serie „Lost“ und Papa Shyamalans älteren Filmen, namentlich „The Village“ und „Das Mädchen aus dem Wasser“ (2006). Mit denen und der akribischen Arbeit an solchen Stoffen ist die Regisseurin schließlich groß geworden.

Die in Irland gedrehte Horrormär bietet zwar jede Menge Gänsehautmomente, aber nicht den einen großen Aha-Moment, der einen wie einst bei „The Sixth Sense“ aus dem Sitz haut. Töchterchen Ishana ist also mit eingestiegen in die Suche ihres Vaters M. Night Shyamalan nach dem einen magischen Moment, der Filmgeschichte schreibt. Und nach „They See You“ ist klar: Die Suche geht weiter.


Filmstart ist am 6. Juni

Quellenlink : Filmkritik: Filmkritik „They See You“ – Von dunklen Wesen und subtiler Gesellschaftskritik