Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muß der Berg eben selbst zum Propheten werden. Das mag sich Sibylle Berg gedacht haben, als sie von der feministischen Fregatte zur rechten Rebellin wurde. Da sie sich als „nicht-binär“ betrachtet, muß man sich bei dem Wortspiel um den männlichen Artikel („der Berg“) keine großen Sorgen machen. Aber was ist da nun genau passiert?
Menschen, die in der Dauerwalpurgisnacht der Geschlechtsrevisionisten mittanzen, liefern normalerweise keine erfreulichen Zitate für die Seite-2-Rubrik der JF-Druckausgabe, wo jüngst Bergs Äußerung aus einem Interview mit der Welt zitiert wurde: „Warum läuft denn alles schief gerade? Und wie kann es sein, daß so ein Troß an Menschen im Europaparlament wie Ameisen in einem Haufen arbeitet, aber für die Bevölkerung nichts Gutes dabei rauskommt? … Jede Regierung will zu jeder Zeit ihre Bevölkerung kontrollieren können. Vielleicht aus Angst vor bevorstehenden Aufständen. Oder einfach aus Spaß.“
Sibylle Berg: „Wenn alles Kritische ‘rechts’ ist, bringt das Menschen zum Schweigen“
Die Autorin von Theaterstücken, Romanen und Essays, 1962 in der Goethestadt Weimar geboren, also ein Kind der DDR, ging bereits fünf Jahre vor dem Mauerfall in den Westen, studierte Politik in Hamburg, was gewissermaßen eine linke Sozialisation garantiert, und war danach für Werbeagenturen wie Scholz & Friends und Springer & Jacoby tätig. Sie warb für so ungesunde Sachen wie Kaffee oder Tabak und verdankt der Branche nach eigenen Angaben „schriftliche Präzision und Ekel vor der Werbung“ – was man zweifellos interpretieren darf als Ekel vor der Verlogenheit. Ist das die Brücke ins Jetzt?
Wie bei vielen anderen auch wurde der Covid-Streßtest und das sture Regiment derjenigen, die sich jetzt scheinheilig die „demokratischen Parteien“ nennen, zum Erweckungserlebnis: Berg beklagte im Gespräch mit der Welt, daß inzwischen sogar Kapitalismuskritik „rechts“ sei, „Pazifismus auch, und wenn alles rechts ist, was Regierende kritisiert, ist das sehr wirksam, um Menschen zum Schweigen zu bringen“.
Oha, eine Schwurblerin, mögen da linientreue Linke und rabiate Regenbogen-Feministinnen denken. Denen schenkte sie am diesjährigen Weltfrauentag, dem 8. März, ein, als sie im jüdischen Wochenmagazin Tacheles wetterte: „Wie könnt ihr euch im Spiegel betrachten mit eurem Schweigen?“ Und so die doppelte Moral linker antizionistischer Proteste brandmarkte. Wenn eine linke Frontkämpferin so auf erhebliche Teile ihrer eigenen Leserschaft eindrischt, sollte sie einen Plan B haben. Schließlich muß man, und das ist es ja gerade, was Berg so nervt, jederzeit auf Boykottaufrufe gefaßt sein, wenn man nicht jeden Geßlerhut grüßt, den linke Landvögte einem hinhalten. Als Wahlschweizerin wird Berg sich da auskennen.
Sollte Berg ins EU-Parlament einziehen, wird es interessant
Noch aber läuft es mit dem Schreiben ganz gut. Ihren Durchbruch hatte sie mit dem Roman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ (1997). Auf die Romane „Sex, „Amerika“ und „Gold“ folgte 2001 „Das Unerfreuliche zuerst. Herrengeschichten“. In „GRM. Brainfuck“ (2019), einer feministischen Dystopie, in der England zum Überwachungsstaat degeneriert ist, und in „RCE. Remote Code Execution“ (2022) bietet sie revolutionäre Zellen gegen den Totalitarismus auf.
Selbstredend ist es also nicht die Hoffnung auf fette Diäten, die die Quer- beziehungsweise Queerdenkerin jetzt auf Platz zwei der Europawahlliste der Spaßpolitvereinigung „Die Partei“ bringt, sondern die Hoffnung, „im Parlament mehr Aufmerksamkeit für Aufklärungen zu erzielen“, so die Autorin. Sollte sie am 9. Juni dort einziehen, dürfte interessant werden, mit wem gemeinsam sie abstimmen wird. Und dann könnte es mit den Sympathien bei rechten Wählern rasch wieder vorbei sein. Eine Schwalbe macht eben noch keinen Sommer und ein paar lichte Momente eine(n) Berg nicht zum Propheten.
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Quellenlink : Feminismus: Feminismus Sibylle Berg: Die rechte Rebellin?