EM-Überblick: EM-Überblick Viele Tore, viel Spannung und ein bißchen Gigi

Viel Negatives läßt sich sagen über die aktuelle Fußball-EM in Deutschland. Vieles, was sinnbildlich für den Zustand unseres Landes ist. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán – bekanntlich kein Mann der leisen Zwischentöne – faßte es Ende vergangener Woche wie folgt zusammen. „Wenn ich Deutschland heutzutage mit dem Deutschland von vor zehn Jahren vergleiche, muß ich sagen, daß das nicht mehr das Land ist, das unsere Eltern und Großeltern uns als Vorbild hingehalten haben.“ Insgesamt rieche und schmecke es nicht mehr so, wie früher. Einst sei das Land noch bekannt dafür gewesen, die Heimat fleißiger Menschen zu sein. „Jetzt ist Deutschland diese bunte, multikulturelle Welt, in der Migranten nicht mehr nur Gäste sind.“ Autsch.

Kurz zuvor hatte die deutsche Mannschaft gezeigt, daß Berlin zumindest auf dem Fußballplatz immer noch ein Vorbild für Budapest sein sollte. Stuttgart, Mittwoch nachmittag: Ungarns Fans laufen mit einem „Free Gigi“-Transparent und brachialen „Döp Dödö Döp“-Gesängen zum Stadion. Deutschland spielt zum ersten Mal im Turnier in pink. Ausgerechnet gegen die renitenten, wenig an „Vielfalt“ interessierten Magyaren. Bestimmt ein Zufall, denn als Turnier-Gastgeber darf der DFB die Trikot-Auswahl treffen.

Das Spiel startet furios, Deutschland verliert vom Anstoß direkt den Ball, Ungarn mit einem langen Ball weit hinein in die deutsche Hälfte, Rüdiger und Kimmich agieren beide nach dem altbewährten Kreisliga-Motto „Nimm du, ich hab ihn sicher“, Roland Sallai geht beherzt zum Ball – doch Neuer ist bereits nach 15 Sekunden hellwach. Danach haben die Ungarn immer wieder gute Chancen, doch insgesamt ist die DFB-Elf in einem munteren Spiel einfach besser.

Deutschland souverän, Serben wütend

Nach 22 Minuten trifft Musiala nach starkem Einsatz von Kapitän Gündogan zum 1:0. Wenige Minuten später fliegt Neuer nach einem brandgefährlichen Freistoß von Dominik Szoboszlai durch den Stuttgarter Abendhimmel und verteidigt die Führung. Das 2:0 von Gündogan in der 67. Minute zieht den mutig aufspielenden Ungarn endgültig den Stecker. Insgesamt ein weniger glamouröser Sieg als gegen Schottland, dennoch ein verdienter. Fürs DFB-Team heißt es damit schon vor dem letzten Gruppenspiel am Sonntag abend gegen die Schweiz: Achtelfinale, wir kommen.

Im vorangegangenen Spiel der Gruppe B vollbrachten Kroatien und Albanien etwas Seltenes. Vier Tore, ein spektakuläres Auf und Ab der Emotionen – alles, was den Fußball so wunderbar macht, wurde auf dem Platz geboten. Dennoch wird kaum jemand darüber sprechen, das Geschehen außerhalb des Platzes dürfte dagegen, zumindest für die beteiligten Nationen in Erinnerung bleiben. Mehrmals im Spiel schallt es lautstark durchs Hamburger Volkspark-Stadion „Tötet den Serben“, gesungen von Albanern und Kroaten.

Die reagierten umgehend. „Wir verlangen von der Uefa Sanktionen, letztlich auch um den Preis, daß wir die Europameisterschaft nicht fortsetzen“, sagte der Generalsekretär des serbischen Fußball-Verbandes, Jovan Surbatovic kurz darauf im Staatsfernsehen. Eine frühe albanische Führung, ein kroatischer Doppelschlag im letzten Viertel des Spiels und ein albanischer Ausgleichstreffer zum 2:2 in der letzten Minute der Nachspielzeit, geraten da schonmal in Vergessenheit.

Schottische Fans begeistern Köln

Die schottischen Fans dagegen zeigten am letzten Spiel des Tages, wie schon beim Auftakt gegen Deutschland, daß Brauchtum und Nationalgefühl – wenn sympathisch vermittelt – einfach gut ankommt. Vor dem Spiel gegen die Schweiz in Köln zogen die Schotten zu tausenden durch die Domstadt. Viele von ihnen in traditionellen Kilts, unzählige musizierten mit Dudelsäcken keltische Melodien. Ein friedliches Publikum, das gute Laune verbreitet und die Heimat gut vertritt in der Fremde.

Ebenso schiedlich-friedlich lief es dann auch auf dem Platz. McTominay brachte die Bravehearts in der 13. Minute in Führung, doch Ex-Bayern Offensivmann Xherdan Shaqiri hat etwas dagegen. Nach einem Fehlpass vom schottischen Außenverteidiger Anthony Ralston Rechter, schlenzt Shaqiri mit dem linken Fuß aus etwa 20 Metern den Ball links oben in die Maschen. Traumtor! Dabei blieb es am Ende. Damit stehen die Eidgenossen, die ihr Auftaktspiel gegen Ungarn mit 3:1 gewonnen hatten, mit einem Bein im Achtelfinale. Die sympathischen Schotten haben nur noch Außenseiterchancen auf ein Weiterkommen.

Balkan-Duell bleibt friedlich

Am Donnerstag ging es weiter. 15 Uhr, München. Balkan-Duell Slowenien gegen Serbien. 2.000 Polizeibeamte, sowie Einheiten des Unterstützungskommandos USK sollten verhindern, daß sich Szenen wie beim Aufeinandertreffen zwischen serbischen und englischen Hooligans in Gelsenkirchen nicht wiederholen.

Auf dem Platz entwickelte sich ein nicht immer hochklassiger, doch emotionaler Kick. Die Serben hatten mit 69 Prozent erheblich mehr Ballbesitz, doch Slowenien wußte etwas mit den eigenen Momenten anzufangen. Beide Seiten ließen einige Großchancen liegen. In der 69. Spielminute klingelte es zum ersten Mal: Zan Karnicnik, eigentlich Außenverteidiger, geht mit nach vorne, bekommt den Ball im perfekten Moment zugespielt und drückt ihn über die Linie. Sein zweites Länderspieltor – und was für ein Wichtiges. Doch in der 95. Spielminute schraubt sich der Ex-Frankfurter Torjäger Luka Jovic nach einer Ecke höher als alle anderen, kommt mit dem Kopf an den Ball: Ausgleich in letzter Sekunde, totale Ekstase bei den Serben, Bestürzung bei den Slowenen.

Vor dem letzten Spieltag in der Gruppe C, können hier alle vier Mannschaften noch weiterkommen oder rausfliegen. Ach ja: Die Gelsenkirchener Polizei darf sich gerne Tips aus München holen, trotz Risikospiel verlief der Tag in der bayerischen Landeshauptstadt friedlich.

England kann es einfach nicht

Die Engländer lieferten erneut den Beweis dafür, daß sie einfach keine Turniermannschaft sind. Nach dem mühsamen 1:0-Auftaktsieg gegen Slowenien, konnten die Three Lions auch gegen Dänemark nicht überzeugen. Der mit Stars gespickte Kader fand trotz früher Führung (Harry Kane, 18. Minute) nicht richtig in Tritt, kassierte in der 23. Minute durch einen sehenswerten Schuß von Morten Hjulmand den Ausgleich und konnte dem nichts mehr entgegensetzen.

Routinier Kyle Walker versuchte im Interview nach dem Spiel noch, die englische Fußballseele zu beruhigen. Man sei nach wie vor Tabellenführer in der Gruppe und man habe schließlich – gegen gute Dänen – nicht verloren. Fast, als hätten sie es kommen sehen, sprangen bereits vor dem Spiel mehrere englische Fans in den Frankfurter Römerberg-Brunnen. Die Briten können einen kühlen Kopf im kommenden Gruppenfinale gegen Slowenien durchaus gebrauchen.

Das ZDF ist woke, die Fans singen Gigi

Vor dem Spiel Spanien gegen Italien zeigte ZDF-Moderator Jochen Breyer, stellvertretend für alles, was dort die letzten Jahre falsch lief, daß der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk fertig hat. Ex-Nationalspieler Christoph Kramer sprach in der Vorberichtserstattung über die spanische Mannschaft. Deren Spielstil habe sich leicht verändert, „weil sie auch nicht mehr das Spielermaterial haben, jetzt nur auf Ballbesitz zu gehen“.

Daraufhin schritt ZDF-Moderator Breyer ein. Er wisse, das werde „bei einigen Fans zu Hause kritisch gesehen, weil Menschen kein Material sind“. Dazu lieferte Breyer alternative Formulierungsvorschläge. „Vielleicht sagen wir in Zukunft einfach Kader oder das Spielerpotential.“ Kramer und der andere TV-Gast, der ehemalige Nationalspieler und Weltmeister von 2014, Per Mertesacker, sahen sichtlich verdutzt aus, lachten jedoch und stimmten mit einem kurzen „okay“ zu.

Fast so, als hätten die Fans im Stadion es geahnt und sich untereinander abgesprochen, womit die moralinsauren Deutschen am besten zu ärgern wären, erschallte das verbotene Lied von den Rängen. „Döp Dödö Döp“, deutlich an den Bildschirmen hörbar. Quittiert durch betretenes Schweigen des Kommentators.

Spaniens Wunderkind zeigt sein Können

Sportlich untermauerte Spanien den Status als Turnierfavorit, den sich die Mannschaft um Cheftrainer Luis de la Fuente bereits mit dem 3:0 im ersten Spiel gegen Kroatien verdient hatte. Zwar brachte erst ein Eigentor des Italieners Calafiori die Entscheidung zu dem auf dem Papier knappen 1:0-Sieg. Doch die Zahlen sagen alles: 20 zu vier Schüße zugunsten der Spanier. 58 Prozent Ballbesitz, fünf zu zwei Ecken.

Vor allem der erst 16jährige Lamine Yamal zeigte mit seiner Leistung erneut, warum er der jüngste EM-Spieler aller Zeiten ist. Er war mutig, kreativ und verpaßte mit einem herrlichen Schlenzer nur knapp ein Rekordtor als jüngster Torschütze bei einer EM. Mit den Spaniern ist zu rechnen, La Furia Roja weiß auch im zweiten Spiel zu beindrucken. Italien kann mit einem Sieg im letzten Gruppenspiel dennoch aus eigener Kraft das Weiterkommen sichern, Albanien und Kroatien müssen auf fremde Schützenhilfe hoffen.

Mehr Spannung geht nicht

Der Freitag startete mit einem für beide Seiten extrem wichtigen Spiel. Sowohl die Slowakei als auch die Ukraine hatten ihr Auftaktspiel verloren und mußten dringend punkten. Der ukrainische Trainer Serhij Rebrow wechselte gegenüber der 0:3-Auftaktpleite gegen Rumänien auf gleich vier Positionen – auch im Tor. Für Real Madrids Andrij Lunin, der beim 0:2 schlimm gepatzt hatte, stand nun Anatolij Trubin von Benfica Lissabon auf der Linie.

Der konnte zwar den frühen Rückstand durch Ivan Schranz in der 18. Minute nicht verhindern, spielte ansonsten aber eine gute Partie. Die Ukrainer konnten sich in der zweiten Hälfte deutlich steigern und durch Mykola Shaparenko ausgleichen. In der 80 Minute belohnte Roman Yaremchuk eine leidenschaftliche Teamleistung mit dem 2:1. Spiel gedreht, die Blau-Gelben dürfen sich weiterhin Hoffnung auf ein Weiterkommen machen. Kurios: Nach dem zweiten Spieltag hat somit jede Mannschaft der Gruppe E einmal gewonnen und einmal verloren. Alle vier Mannschaften haben ein Endspiel vor der Brust, mehr Spannung geht nicht.

Polen ist raus, Österreich darf hoffen

Im Duell der deutschen Nachbarn zwischen Österreich und Polen, konnte sich die Alpenrepublik verdient mit 3:1 im Berliner Olympiastadion durchsetzen. Innenverteidiger Gernot Trauner brachte per Kopf früh die Führung. Ex-Herthaner Krzysztof Piatek konnte in der 30. Minute an seinem alten Arbeitsplatz den Ausgleich erzielen, ehe Österreichs Christoph Baumgartner mit einem entschlossenen Abschluß von der Strafraumkante in der 66. Spielminute die Österreicher wieder in Führung brachte.

Polen hatte danach zwar noch einige Torchancen, konnte diese aber nicht nutzen. Auch der wegen einer leichten Verletzung nur eingewechselte Weltstar Robert Lewandowski konnte nicht überzeugen. Dafür waren die Polen ab dem 1:2 immer wieder anfällig für Konter und so kam, was kommen mußte: Marcel Sabitzer läuft in der 78. Minute mutterseelenallein auf Torwart Szczensy zu, umkurvt ihn und wird getroffen. Klarer Elfmeter, Arnautovic bleibt eiskalt, 3:1 Sieg.

Damit sieht es für Österreich in der Todesgruppe mit den Niederlanden, Polen und Frankreich gar nicht so schlecht aus. Gegen zuletzt zwar siegreiche (3:1 gegen Polen), aber nicht ganz souveräne Niederländer brauchen die Habsburger einen Sieg. Polen ist nach zwei Niederlagen aus zwei Spielen bereits ausgeschieden.

Außgerechnet das Topspiel bleibt torlos

Der Fußball ist mysteriös und unvorhersehbar. Daß in dieser bisher recht unterhaltsamen EM das erste torlose Spiel ausgerechnet Frankreich gegen die Niederlande sein würde, hätten wohl die wenigsten kommen sehen. Zunächst sah es nicht danach aus. Bereits nach weniger als einer Spielminute startet Hollands Jeremie Frimpong schneller als alle anderen, zieht von rechts in den Strafraum, und scheitert nur knapp an Frankreichs Schlußmann Mike Maignan.

Auch Frankreichs Offensivmänner Griezmann und Dembelé hatten gute Torchancen. Der Aufreger des Spiels war Xavis Tor, das wegen einer Abseitsposition seines Teamkollegen Dumfries aberkannt wurde. Der Schiedsrichter urteilte, daß Dumfries den französischen Torhüter entscheidend behindert habe und ließ den Treffer nicht gelten.

Ronald Koeman, Trainer der Niederlande, kritisierte im Anschluß die Entscheidung. „Ich persönlich denke, daß das Tor hätte zählen müssen.“ Zwar habe Dumfries im Abseits gestanden, doch er habe den Torwart nicht gestört. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Mit dem Unentschieden haben beide Mannschaften weiterhin gute Chancen, die KO-Phase zu erreichen.

Georgiens Torwart wird unendlich wichtig

Der Fußball-Samstag wurde um 15 Uhr in Hamburg mit der Partie Georgien gegen Tschechien eingeleitet. Georgien ging kurz vor der Pause per Handelfmeter durch Mikautadze in Führung. Tschechiens Offensivstar, der Leverkusener Patrik Schick, konnte in der 59. Minute ausgleichen. Insgesamt traten die Tschechen in der zweiten Halbzeit aggressiver auf. Vor allem Georgiens Torhüter, der erst 23jährige Giorgi Mamardashvili, zeigte an diesem Tag mit einigen wichtigen Paraden sein Talent.

Durch das Unentschieden haben beide Teams weiterhin die Chance, weiterzukommen. Portugal ist mit zwei Siegen aus den ersten beiden Spielen sicher weiter. Georgien muß im letzten Gruppenspiel gegen das Starensemble um Cristiano Ronaldo ran, Tschechien trifft auf die Türkei.

CR7 hilft uneigennützig

Im anderen Gruppenspiel ließ Portugal gegen die Türkei nichts anbrennen. Manchester City-Star Bernardo Silva sorgte in der 21. Minute für das 1:0. Erst hatten sie kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. In der 28. Minute endet ein eigentlich harmloser portugiesischer Angriff beim türkischen Verteidiger Samet Aytikin. Der erwischt den herauslaufenden Torwartkollegen mit seinem Rückpaß auf dem völlig falschen Fuß – Eigentor zum 0:2 aus türkischer Sicht.

Nach der Pause legte der fünfmalige Weltfußballer Cristiano Ronaldo uneigennützig für seinen ehemaligen Teamkollegen aus Manchester-Zeiten, Bruno Fernandes, auf – 3:0 Portugal. Die Türken müssen im letzten Gruppenspiel gegen Tschechien ums Weiterkommen zittern, Portugal kann sich mental schon aufs Achtelfinale einstellen.

Türkei, die offensiv nicht unglücklich agierte, scheiterte an der reifen Spielweise der Portugiesen und mußte zudem den Ausfall ihres Innenverteidigers Akaydin hinnehmen. Während Portugal als Gruppensieger feststeht, kämpft die Türkei im letzten Spiel gegen Tschechien um das Weiterkommen.

Lukaku im Abseits-Pech

In Gruppe E nahm der Wahnsinn seinen Lauf. Youri Tielemans vollendet den ersten schön herausgespielten belgischen Angriff nach Ablage von Lukaku in der zweiten Minute zum 1:0. Zwar hatten die Rumänen immer wieder gute Chancen, doch nach einem Tor von Belgiens Stürmerstar Romelu Lukaku, das wegen einer haarscharfen Abseitsposition aberkannt wurde, traf Kevin De Bruyne in der 80. Minute zum 2:0.

Eine durchaus wackere Leistung der Rumänen, doch an diesem Tag war im Vergleich zu den Belgiern die individuelle Klasse einfach nicht ausreichend. Gruppe E bleibt somit maximal spannend, weil alle Teams vor dem letzten Spieltag exakt drei Punkte haben. Für Belgien geht es im letzten Gruppenspiel gegen die Ukraine, Rumänien spielt gegen die Slowakei.

Quellenlink : EM-Überblick: EM-Überblick Viele Tore, viel Spannung und ein bißchen Gigi