Ein anderer Blick: Ein anderer Blick Hoffmann von Fallersleben: Ihn kümmerte keine Majestät

Jörg Koch ist promovierter Historiker und Oberstudienrat in Rheinland-Pfalz. Sein Buch beschäftigt sich mit dem Leben eines Dichters, dessen Lieder und Gedichte vor allem Kindern und deren Eltern schon lange vertraut sind, beispielsweise: „Alle Vögel sind schon da“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, „Ein Männlein steht im Walde“, „Winter ade“. Vermutlich wissen selbst die Eltern meist nicht, von wem die Texte stammen, nämlich dem Mann, der auch das Deutschland-lied geschaffen hat. 

Hoffmann wurde 1798 in Fallersleben geboren, das heute ein Ortsteil von Wolfsburg geworden ist. Er wurde 1874 in Corvey an der Weser beigesetzt. Wer gleichzeitig eine große Zahl von harmlosen Kinderliedern und einen heute so umstrittenen Text wie das Deutschlandlied gestaltet hat, muß ein vielseitiger und interessanter Mensch sein. Die erste Strophe des Deutschlandliedes verweist auf den damaligen Siedlungsraum von Menschen deutscher Sprache: von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt.

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Hoffmann war ein großdeutsch denkender Liberaler

Obwohl die Maas an vielen Stellen weit und an anderen nur wenige Kilometer westlich der deutschen Grenze verläuft, dürften vor allem Memel und Etsch heute als problematische Markierungen erscheinen. Durch Flucht und Vertreibung nach 1945 endet der deutsche Siedlungsraum heute weit westlich der Memel an der Oder. Weil schon das Bismarckreich Österreich nicht einschloß, und weil Österreich mit dem Ersten Weltkrieg Südtirol verloren hat, paßt auch die Etsch nicht mehr. 

Nur in Hitlers kurzlebigem Großdeutschen Reich war die geographische Beschreibung fast richtig. Damals wurde die erste Strophe des Liedes – bereits seit 1922 Nationalhymne – gegenüber den anderen bevorzugt, was allerdings nicht zu Hoffmanns demokratischer und liberaler Gesinnung paßt. Heute kann die erste Strophe nur noch an den tragischen Charakter der deutschen Geschichte erinnern, an Krieg, Flucht und Vertreibung. Obwohl Hoffmann wie viele Zeitgenossen auf einen großdeutschen Nationalstaat unter Einschluß von Österreich hoffte, kann man aus seiner politischen Lebensgeschichte schließen, daß Einigkeit und Recht und Freiheit sein Hauptanliegen war. Als Nationalhymne gilt seit dem Briefwechsel von Kohl und Weizsäcker von 1991 nur noch die dritte Strophe.

„Mich kümmert kein Staatsminister und keine Majestät“

In seinem Leben war Hoffmann Bibliothekar, Schriftsteller und Universitätsprofessor in Breslau. Er ist einer der Begründer der Germanistik. Ein Teil seiner frühen Forschungen beschäftigte sich mit den Niederlanden und Belgien, wofür er dort auch geehrt wurde. Er ist innerhalb Mitteleuropas viel gereist und mit vielen Persönlichkeiten aus dem Kulturleben bekannt gewesen: Dichtern und Professoren, Komponisten und Musikern, auch Malern. In Schwierigkeiten brachten Hoffmann seine „Unpolitischen Lieder“, die den Obrigkeitsstaat und den Adel verhöhnten und seine Entlassung als Professor provozierten.

Hoffmanns Reaktion darauf ist Teil eines Gedichts: „Die Unpolitischen Lieder mehr zu verbreiten, Hat man sie verboten zu rechten Zeiten.“ An anderer Stelle, in den Deutschen Gassenliedern heißt es: „Mich kümmert kein Staatsminister und keine Majestät, kein Bursch und kein Philister noch Universität“ und am Ende: „Der Professor ist begraben, ein freier Mann erfand – was will ich weiter noch haben? Hoch lebe das Vaterland.“ Hoffmann wurde 39mal aus politischen Gründen aus der Stadt oder dem Land verwiesen. An der Märzrevolution 1848 nahm er allerdings nicht aktiv teil. 

Hoffmanns Distanz zu den politischen Verhältnissen seiner Zeit drückt ein Gedicht so aus: „Uns fehlt nichts, wir haben nur zu viel von allerlei, Regierung, Steuern und Zensur, Soldaten, Polizei, wir haben nur, Gott steh uns bei! Zu viel, zu viel von Allerlei.“ Das paßt besser in die Vorgeschichte des radikal freiheitlichen oder libertären Denkens. Kochs Buch ist mehr als die Beschreibung eines Dichterlebens. Es ist gleichzeitig eine Kulturgeschichte seiner Zeit.

Aus der JF-Ausgabe 44/24.

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