Wer dieser Tage nach geopolitischen Signalen sucht, blickt nach Peking. Nicht wegen des Besuchs der deutschen Außenministerin. Am Tag danach landete ein ungleich bedeutenderer Gast in der chinesischen Hauptstadt: der seit dreieinhalb Monaten amtierende neue brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Seitdem war es seine erste Reise außerhalb der beiden Amerikas; zuvor hatte er Argentinien und die USA besucht. Vor seinem Abflug gab er zu Protokoll: „Niemand wird Brasilien daran hindern, seine Beziehungen zu China zu verbessern“ – die Aussage zeigt, daß einflußreiche Kräfte eben das versuchen.
Es dürften dieselben Kräfte sein, die derzeit unter den Demokratien der Welt gegen Peking (und andere Diktaturen) mobil machen. Vor allem in Brasilien, Indien und Südafrika. Mit Rußland und China bilden diese Länder die Gruppe der BRICS, große nicht-westliche Industrienationen. Rußland ist in der Ukraine als Angreifer kriegsbeteiligt; das kommunistische China steht ihm zumindest moralisch bei. Aber auch Brasilien, Indien und Südafrika sind nicht gewillt, sich ohne Wenn und Aber auf Seiten der attackierten Ukrainer und ihrer Unterstützer zu positionieren.
Viele in Europa können das nicht nachvollziehen. Warum nur sagt man dort nicht: Der Westen verteidigt die regelbasierte internationale Ordnung, tritt gegen Aggression und gegen das Recht des Stärkeren ein – das unterstützen wir? Es gibt zwei Gründe. Der eine liegt in der kollektiven Erfahrung dieser Länder mit der westlichen, vor allem der US-amerikanischen Politik.
Der Westen im Rückwärtsgang
Der andere liegt im objektiv schwindenden Gewicht des Globalen Westens in der Welt. Er repräsentiert heute schon keine 15 Prozent der Weltbevölkerung mehr; sein Anteil an der Weltwirtschaftsleistung ist auf unter die Hälfte gesunken. In Indien, China, Brasilien und anderswo setzt man seit langem darauf, daß eine neue Weltordnung entsteht, nicht mehr westlich dominiert, sondern multipolar oder polyzentrisch. Der Ukrainekrieg hat an den Tag gebracht, wie fortgeschritten dieser Prozeß ist.
Der Westen ist jedenfalls alarmiert. Von Canberra bis Ottawa, von Washington bis Brüssel wirkt ein Solidarisierungsreflex. Eine mentale Wagenburg um die Führungsmacht USA entsteht. In Europa bewirkt der russische Krieg eine Kräfteverschiebung Richtung Osten. Ein neues Machtzentrum um Polen gibt in der Konfrontation mit Rußland künftig die Schlagzahl vor. Deutschland rückt in die zweite Reihe. Mit seiner Invasion hat Wladimir Putin die deutsche Außenpolitik um ihr allerletztes Eigenständigkeitsmerkmal gebracht: die bewährte Substanz der deutsch-russischen Beziehungen.
Dabei ist der Ukrainekrieg nur ein Katalysator. Der eigentliche Herausforderer ist China. Moskau ist wenig mehr als ein Störenfried, der mit seinem sinnlosen Krieg obendrein jeden russischen Einfluß in Europa verspielt.
Wir Europäer zahlen doppelt
Die globale Schütterzone rückt in den Westpazifik. Dort ist die militärische Dominanz der USA unmittelbar gefährdet. Sollte Taiwan fallen, bricht auch die sogenannte Erste Inselkette von Korea bis Sumatra. Ganz abgesehen von den Auswirkungen auf die internationalen Schiffahrtsverbindungen, die Versorgungslage bei kritischen Halbleitern und so fort.
Wir Europäer zahlen derweil doppelt. Steigende Militärausgaben und eine instabile Sicherheitslage einerseits, Verlust des wirtschaftlichen Erfolgsmodells andererseits. Jahrzehntelang hat der Kontinent günstige russische Energie bezogen und Waren für den riesigen chinesischen Markt produziert. Jetzt wird beides den geopolitischen Interessen geopfert.
Aber wessen Interessen? Emmanuel Macron weiß, warum er vor einem europäischen Vasallentum warnt. Die Eindämmung Rußlands hilft unseren östlichen Nachbarn, vor allem aber hilft sie den USA. Europa ist ihr wichtigster Brückenkopf auf der eurasischen Landmasse, gefolgt von Japan, Südkorea und Teilen Südostasiens. Und noch wichtiger als die Eindämmung Rußlands ist diejenige Chinas. Schon ist von legitimen Nato-Einsätzen „East of Suez“ die Rede, also weit jenseits des Vertragsgebiets. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die deutsche Freiheit nicht nur am Hindukusch, sondern auch in der Straße von Taiwan verteidigt wird.
Berliner Politiker als treue Vasallen
Von der deutschen Politik ist nicht zu erwarten, daß sie sich derartigen Anwandlungen widersetzt. In der Wagenburg des Westen rücken die Berliner Politiker bis zur Selbstaufgabe an die Seite der Führungsmacht. Auch medial wird das US-Narrativ praktisch eins zu eins übernommen. Geht es nach unserer politischen Klasse, so schwören wir (nach den deutschen) jetzt auch allen europäischen Sonderwegen ab.
Da fällt es schon nicht ins Gewicht, daß die Generation Baerbock sowieso nur zwei Politikziele kennt: Musterschüler und Vorbild. Die Differenzen mit Paris zeigen jedenfalls, daß den Nachbarn das nicht reicht. Für Frankreich steht außer Frage: Europa muß auch innerhalb des Westens auf geostrategischer Autonomie beharren.
Anders als die USA projiziert unser Kontinent im Pazifik keine militärische Macht. Aus Warschauer, Pariser oder Berliner Sicht sind die dortigen Verhältnisse, so hart es in manchen Ohren klingen mag, mit Bismarck gesprochen „nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert“. Dagegen steht jedoch ein ideologisches Narrativ, demzufolge Europa für die Verteidigung der Demokratie zuständig ist, für die Freiheit, die Menschenrechte, die universalen Werte und die liberale Ordnung.
Europa muß eigene Interessen in der neuen Weltordnung formulieren
Natürlich auch für die Klimarettung und die moralische Sauberkeit der Lieferketten. Kein leichtes Los. Die Engländer im 19. Jahrhundert nannten ihre zivilisatorische Mission „the white man’s burden“. Die Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf ist das eine. Die Ukraine ist ein europäisches Land, und Rußland hat fundamentale europäische Konventionen gebrochen, allen voran die Charta von Paris. Das gilt übrigens auch, wenn die Ukraine sich nicht als lupenreine Demokratie erweisen sollte.
Im Pazifik, in Afrika, Südamerika und anderen Weltregionen liegen die Dinge anders. Weder drückt uns dort „the white man’s burden“, noch teilen wir die imperialen Interessen der USA mit ihren Hunderten Militärbasen weltweit. Nato-Einsätze „East of Suez“ dürfen nicht sein. Um so dringlicher ist das europäische Anliegen, eigene geopolitische Interessen zu formulieren. Sollten die sich herausschälenden neuen Machtverhältnisse in Ostmitteleuropa es bedingen, dann auch in einem kleineren, westeuropäischen Format.
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Quellenlink : Deutschlands Rolle in der WeltIn der Wagenburg der neuen multipolaren Weltordnung