Debatte: Debatte „Die Zukunft der Demokratie ist der Populismus“

Die Angst ist groß. „Populisten und Extremisten von links wie rechts sind auf dem Vormarsch – in Deutschland, in Europa, weltweit“, warnt Astrid Pietrus von der Friedrich-Naumann-Stiftung vor knapp 100 Gästen. „Ist der Populismus das Problem – oder zeigt er, daß sie ganz woanders liegen?“ Über die Bedrohungen der Demokratie diskutiert die Journalistin mit der FDP-Bundestagsabgeordneten Linda Teuteberg und dem Ex-Politiker der SPD und Cicero-Kolumnisten Mathias Brodkorb am Dienstag abend in einem beschaulichen Biedermeier-Saal des Leipziger Club International.

Die Antworten der Zuschauer auf die Frage nach Schulnoten, die sie dem Zustand der deutschen Demokratie verteilen würden, spiegeln die allgemeine Stimmung wider. „Vier minus, auf dem Weg in den Totalitarismus“, sagt einer. Eine Frau gibt dem System eine Zwei, weil dieses „immer noch“ eine wehrhafte Demokratie sei. Immerhin ein jüngerer Teilnehmer vergibt die Note eins – da es ermögliche, daß neue Parteien erscheinen. Ein „Weiter so“ will niemand, ungeachtet der eigenen Einstellung.

Brodkorb: „Parteiinteressen haben in Staatsämtern nichts verloren“

Auch Brodkorb, der Kultus- und Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern war, wagt eine ausführliche Bewertung mit Teilnoten – und beklagt vor allem ein Problem. „Was das zivile Miteinander angeht, sind wir bei einer Vier angelangt“, mahnt er. Der gemeinsame Kommunikationsraum, der vor 30 Jahren bestanden hätte, sei nach der Einführung des Privatfernsehens und sozialer Medien „komplett“ zerbrochen. „Die Zukunft der Demokratie ist der Populismus. Das ist nicht mein Wunsch, sondern eine Prognose.“ Auch die verschärfte geopolitische Lage sowie die Asylkrise 2015 hätten dazu beigetragen.

Ein weiteres Problem stellt für Brodkorb die politische Klasse dar. Sie habe verlernt, daß sie mit dem Eintritt in Staatsämter nicht mehr die eigene Partei vertrete, sondern das Gemeinwohl verkörpere. „Zum Beispiel, wenn eine Bundeskanzlerin Steuermittel und den Staat instrumentalisiert, um eine Wahl für legitim zu erklären“, moniert er mit Blick auf den Nachgang der Wahl von Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten. Derartige Fälle, in denen Politiker aus der Staatsfunktion heraus eigene parteipolitische oder weltanschauliche Interessen verfolgten, häuften sich aber. „Sie haben in Staatsämtern nichts verloren. Hier geht es um Anstand, Moral und Charakter!“ ruft er, worauf Applaus folgt.

Teuteberg: „Eine Parteiendemokratie ist nichts Schlechtes“

FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg in Leipzig Foto: JF

Teuteberg versucht, etwas Ruhe in die Diskussion zu bringen und erinnert an die Rolle der Parteien. Als Mittler zwischen Bürgern und Staat seien sie da, um Ähnlichgesinnte zu bündeln: „Eine Parteiendemokratie ist nichts Schlechtes, sondern vom Grundgesetz gewollt.“ Dagegen sei es „seit langem“ in den Kommunen üblich, aus Angst vor „mißliebigen Parteien“ gar keine Räume mehr an Parteien zu vermieten. Dabei müßten sie Parteitage zu bezahlbaren Preisen veranstalten und ihren Rechenschaftspflichten nachkommen. „Warum kann ein Kaninchenzüchterverein kommunale Räume mieten, eine Partei aber nicht?“, fragt die frühere FDP-Generalsekretärin.

Sie schießt dabei auch gegen das von der Ampel geplante „Demokratiefördergesetz“. Auf Nachfrage von Pietrus, warum es dieses brauche, antwortet sie lachend: „Da fragen Sie die Falsche.“ Zuvor bekommen Nichtregierungsorganisationen ihr Fett weg. Sie sollten sich unabhängig vom Staat finanzieren, statt „eine Art ‘Nebenbeamtentum’“ zu sein – ein öffentlicher Dienst ohne dessen Regeln.

Eine Zuschauerin unterbricht mehrfach den Cicero-Publizisten

Bei der Frage, welche Art des Extremismus die Demokratie am meisten gefährde, beschäftigt vor allem eine Richtung – und eine Partei – die Teilnehmer. „Der Verfassungsschutz faßt unter Rechtsextremismus Dinge, die nichts damit zu tun haben“, beklagt Brodkorb, der dazu jüngst ein Buch veröffentlichte. So werde der AfD im Prozeß gegen den Inlandsgeheimdienst eine Aussage eines Mitglieds vorgehalten, daß Personen, die nur nach Deutschland kommen, um gewalttätig und kriminell zu sein, im Land nichts verloren hätten. „Das ist intellektuell blamabel und durchsichtig motiviert.“ Mit Blick auf die Islamisten-Demos der vergangenen Monate fällt ihm ein Vergleich ein: „Es müßten alle aus der rechtsextremen Szene nach Berlin fahren, um so viele Teilnehmer hinzubekommen.“

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Kurz darauf bricht ein Streit mit einer Zuschauerin aus. „Finden Sie es richtig, daß der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextrem einstuft?“, fragt sie wiederholt und unterbricht den Sozialdemokraten mehrfach, als er zu antworten versucht. „Schon Ihre These ist falsch, die Partei wurde so nicht eingestuft“, kommt irgendwann von ihm. Nach weiterer Unterbrechung und Ermahnung durch die Zuschauerin räumt er ein, er kenne sich mit der Partei nicht ausreichend aus. „Die AfD ist mir nicht so wichtig, daß ich mich mit ihr beschäftigen würde.“

Teuteberg betont, die Sicherheitsbehörden sollten alle Gefahren im Blick haben. „Von Rankings solcher Art halte ich nicht viel.“ Dazu gehören Personen, die religiöse Regeln über die Verfassung stellten oder Straßenblockaden veranstalten. „Niemand hat das Recht, mit Gewalt und Nötigung seine Mittel zu erreichen.“

„Vox populi, vox Rindvieh“?

Auch Neugründungen wie das Bündnis Sahra Wagenknecht bleiben nicht unerwähnt. „Leninistisch angehauchte Vorstellungen werden nicht auf Dauer funktionieren“, mahnt Teuteberg mit Blick auf die Entscheidung des Landesverbandes Thüringen, vor der Aufstellung der Landesliste keine neuen Mitglieder aufzunehmen. Dem widerspricht Brodkorb deutlich. „Da kommen lauter Vollidioten um die Ecke – und ich würde nicht gerne in den nächsten sechs Monaten Wahlkampf Pressegeschichten über den Vollidioten A hier und Vollidioten B da hören. Das hat mit Leninismus gar nichts zu tun!“

Wie eine moderne Demokratie auszusehen müßte? Die Frage spaltet die Teilnehmer. Als Brodkorb für mehr direktdemokratische Elemente plädiert, skandiert ein Zuschauer „Vox populi, vox Rindvieh“. „Sie können schon so über Ihre Mitbürger reden“, antwortet der Cicero-Kolumnist, „aber dann müßten Etablierte bereit sein, schneller auf öffentliche Meinung zu reagieren“. Auch Parteien seien in Machtkomplexe eingebunden, und ihre Mitglieder dürften sich nicht „verbrennen“.

Ein Zuschauer bringt Lenin daraufhin einmal mehr ins Spiel, indem er die geschlossene Listenwahl als Instrument zur Etablierung einer „Partei des neuen Typus“ bezeichnet. „Es ist nicht so, daß man nicht vorher eine Mehrheit bei einer Mitgliederversammlung erreichen muß“, merkt Teuteberg an. Direkt gewählte Wahlkreisabgeordnete seien nicht viel unabhängiger oder „mutiger“, stattdessen sei die Vielfalt der Parteienlandschaft wichtiger.

„Wir brauchen eine Gemeinschaft der Parteistiftungen von AfD bis Linkspartei“

Den Schlußteil dominiert die Frage, wie die Debattenkultur zu stärken sei. „Ich traue den politischen Stiftungen auf Landesebene noch zu, Formate zu entwickeln, in denen verschiedene weltanschauliche Lager bestimmte Fragen diskutieren“, regt Brodkorb an. Teuteberg pflichtet dem bei, weist jedoch auf eigene Erfahrungen hin. Vor einiger Zeit habe jemand von der Stiftung einer konkurrierenden Partei die FDP-Abgeordnete gefragt, ob sie zu einem Streitgespräch komme. „Ich habe ja gesagt – dann kam aber nichts mehr.“ Später stellt sich heraus: Es ist die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung.

Ganz zum Ende bringt eine jüngere Zuschauerin den Begriff „Cancel Culture“ ins Spiel. „Wenn man auch Politikern etwas entgegnet, wird man blockiert“, beklagt sie. „Ich würde davon abraten, alles als ‘Cancel Culture zu bezeichnen’“, antwortet Brodkorb. Diese bestünde vielmehr darin, den anderen das Recht abzusprechen, gehört zu werden. Um dem entgegenzuwirken, bekräftigt er seinen Vorschlag. „Was ich mir wünsche, ist eine schöne Gemeinschaft der Stiftungen – von der AfD-Stiftung bis zur Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dann machen wir eine schöne Veranstaltung, das wäre sensationell.“ Das Publikum applaudiert.

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