Debatte am Donnerstag Legalisiert der Bundestag jetzt die Abtreibungen?

BERLIN. Der Bundestag debattiert am späten Donnerstagnachmittag über eine Legalisierung von Abtreibungen. Auf der Tagesordnung steht ein Gesetzentwurf, der von 327 Abgeordneten verschiedener Fraktionen unterzeichnet wurde, darunter auch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Es handelt sich um die erste Lesung. Für einen Gesetzesbeschluß sind drei Lesungen nötig.

Der Entwurf sieht vor, daß der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch künftig vollständig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Statt dessen wollen die Parlamentarier ihn im Schwangerschaftskonfliktgesetz normieren. Laut der neuen Regelung wären Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft grundsätzlich legal.

Bislang sind Schwangerschaftsabbrüche im Grundsatz verboten, bleiben in den ersten zwölf Wochen jedoch straffrei, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehört eine verpflichtende Beratung. Diese soll auch in Zukunft erhalten bleiben. Allerdings würde keine dreitägige Wartefrist nach der Beratung mehr gelten. Zudem würde die Beratung auch explizit „dem Selbstbestimmungsrecht der Frau“ dienen, nicht mehr nur „dem Schutz des ungeborenen Lebens“.

Zur Debatte steht am Donnerstag außerdem ein ergänzender Antrag. Darin plädieren die Abgeordneten unter anderem dafür, daß die Kosten für legale Abtreibungen durch die Krankenkassen übernommen werden. Zudem sollen Schwangerschaftsabbrüche besser in die Ausbildung von Ärzten integriert werden.

Kommt es überhaupt zur Abstimmung?

Es ist offen, ob Gesetzentwurf und Antrag noch in dieser Legislaturperiode eine Mehrheit finden. Ebenso unklar ist, ob der Entwurf überhaupt zur entscheidenden dritten Lesung ins Plenum kommt. Er wird nach der ersten Lesung in den Rechtsausschuß verwiesen. Dieser konnte sich bislang nicht darauf einigen, eine Anhörung anzusetzen. Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, mahnte am Donnerstag im Deutschlandfunk, es sei „nicht redlich“, das Verfahren zu verzögern.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz hatte Mitte November kritisiert, das Thema sei „wie kein zweites geeignet, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen“. Im Interview mit der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft sagte er Ende des Monats jedoch, es habe in der Frage „einen gesellschaftspolitischen Wandel“ gegeben. Er sei für eine neue Debatte offen, „aber doch bitte nicht auf den letzten Metern vor der Wahl“.

Wie stehen die Deutschen zu Abtreibungen?

Schauws bestritt dagegen am Donnerstag, daß es sich um einen gesellschaftlichen Großkonflikt handle. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung seien für eine „Entkriminalisierung“ des Schwangerschaftsabbruchs. Tatsächlich war ein vom Bundesfamilienministerium eingeholtes Meinungsbild im April zu dem Ergebnis gekommen, drei Viertel der Deutschen seien der Meinung, daß Schwangerschaftsabbrüche nicht im Strafgesetzbuch geregelt werden sollten.

Ein etwas anderes Bild präsentierte in dieser Woche das Umfrageinstitut Insa. Demnach meinen 45 Prozent der Bevölkerung, die Möglichkeit für einen Schwangerschaftsabbruch sollte so belassen werden wie bisher oder sogar erschwert werden. 44 Prozent geben an, sie sollte eher erleichtert werden.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die sogenannte „Fristenlösung“ in der Vergangenheit wiederholt als grundgesetzwidrig verworfen. Das Gericht urteilte 1993, dem ungeborenen Leben gebühre Schutz „auch gegenüber seiner Mutter“. Und dieser Schutz sei „nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet“.

Die Befürworter der Legalisierung argumentieren dagegen, gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen hätten sich in der Zwischenzeit verändert. So hatte die Potsdamer Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf im April geäußert, die Konsistenz der Entscheidung des Verfassungsgerichts sei „überschaubar“: „Die würde so heute nicht mehr getroffen werden.“ Brosius-Gersdorf gehörte einer von der Ampel-Regierung eingesetzten Kommission an, die im Frühjahr die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen empfahl. (ser)

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