Carsten Brennecke: Carsten Brennecke Prominenter Medienanwalt über Sylt: „Eine solche Hexenjagd ist nicht zulässig“

Herr Dr. Brennecke, zahlreiche Medien haben die Bilder der Personen aus dem sogenannten Sylt-Video unverpixelt gezeigt. Ist das aus Ihrer Sicht presserechtlich zulässig?

Carsten Brennecke: Ich konnte jedenfalls bei der Bild-Zeitung und beim WDR feststellen, daß die Bilder der Personen unverpixelt gezeigt wurden. Die Bild hat dazu auch noch die Namen der Personen und zahlreiche Details aus deren Leben steckbriefartig veröffentlicht. Die Veröffentlichung der unverpixelten Bilder verletzt rechtswidrig das Recht am Bild der Personen und damit deren allgemeines Persönlichkeitsrecht. Eine solche Hexenjagd auf die Beteiligten durch die Veröffentlichung unverpixelter Bilder ist daher nicht zulässig.

Allerdings hat der WDR ausdrücklich darauf hingewiesen, „daß es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt und dies stärker wiegt als die Interessen der gezeigten Personen“. Ist das nicht schlüssig?

Brennecke: Grundsätzlich darf man Bilder von Personen nicht ohne deren Einwilligung veröffentlichen. Eine Ausnahme kann dann gelten, wenn über ein zeitgeschichtliches Ereignis berichtet wird. Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Bejahung eines zeitgeschichtlichen Ereignisses sind relativ gering. Die Äußerungen der Beteiligten haben für großes Aufsehen gesorgt, so daß man wohl von einem zeitgeschichtlichen Ereignis ausgehen kann.

Wo liegt der WDR dann falsch?

Brennecke: An einem entscheidenden Punkt: Selbst wenn über ein zeitgeschichtliches Ereignis berichtet wird, ist eine Bebilderung der Beteiligten dann unzulässig, denn deren Interessen überwiegen. Gerichte sehen ein überwiegendes Interesse des Betroffenen, wenn dieser durch die Berichterstattung an den Pranger gestellt wird und dadurch gravierende Folgen der sozialen und beruflichen Ausgrenzung drohen.

„Die gesungene Parole dürfte noch nicht einmal strafbar sein“

Und das ist bei den „Ausländer Raus“-Rufern von Sylt der Fall?

Brennecke: Exakt. Zahlreiche Beteiligte haben schon ihren Job wegen der Berichterstattung verloren. Das Oberlandesgericht München hat bereits in einem vergleichbaren Fall eine ähnliche Bild-Berichterstattung wegen der Prangerwirkung verboten: Das Blatt hatte hetzerische Beiträge aus sozialen Netzwerken zusammen mit dem Bild und dem Nutzernamen der Betroffenen veröffentlicht. Dies wurde richtigerweise wegen der unzulässigen Prangerwirkung untersagt.

Dieselbe Logik greift also auch in diesem Fall?

Brennecke: Vielmehr noch ist dabei auch zu berücksichtigen, daß die von den Sylt-Sängern gesungene Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ noch nicht einmal strafbar sein dürfte, sondern als Meinungsäußerung zulässig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dies bereits zu einem Plakat mit der Aufschrift „Ausländer raus“ bestätigt. Auch die fehlende Strafbarkeit führt dazu, daß eine die Beteiligten erkennbar machende Berichterstattung in der Abwägung unzulässig ist.

Und was ist mit dem Argument des Senders, die auf dem Video zu sehenden Personen hätten sich selbst in eine halböffentliche Lage gebracht, indem sie das Video weiterverbreitet haben?

Brennecke: Dieses Argument des WDR ist nach gängiger Rechtsprechung nicht stichhaltig: Im eben beschriebenen Fall, in dem das Oberlandesgericht München eine prangerartige Berichterstattung der Bild verboten hat, war der Sachverhalt vergleichbar: Die Zeitung hatte Beiträge von Nutzern sozialer Netzwerke veröffentlicht, die diese zuvor sogar selbst öffentlich verbreitet hatten.

Was ist daran dann rechtlich unzulässig?

Brennecke: Die Veröffentlichung durch die Bild war dennoch unzulässig, weil natürlich eine Veröffentlichung der Bilder in einem reichweitenstarken Medium wie der Bild oder dem WDR eine ganz andere Öffentlichkeit und damit Prangerwirkung erreicht als ein Posting in einem sozialen Netzwerk. Hier ist der WDR daher presserechtlich gar nicht oder schlecht beraten.

Unter welchen Umständen ist es Medien überhaupt erlaubt, Videos die in einem privaten Rahmen entstanden sind, öffentlich weiterzuverbreiten? 

Brennecke: Grundsätzlich ist die Verbreitung von privaten Videos, die Gesichter der Betroffenen zeigen, unzulässig.

Ausnahmslos?

Brennecke: Nein, aber Ausnahmen sind nur dann zulässig, wenn ein ganz besonderes öffentliches Informationsinteresse an einem zeitgeschichtlichen Ereignis besteht und die Interessen der Beteiligten nicht überwiegen. Solche Fälle liegen aber bei derart niederschwelligen Verfehlungen nicht vor. Da muß es schon um dramatische Verfehlungen gehen, wie beispielsweise die Begehung von aufsehenerregenden Kapitalstraftaten.

„Ich kann den Personen auf dem Sylt-Video nur empfehlen, sich dagegen auch mit Strafanzeigen zu wehren“

Auch viele private Accounts haben das Sylt-Video ohne Unkenntlichmachung weiterverbreitet. Dürfen Privatpersonen hier mehr als Medien?

Brennecke: Nein, private Accounts dürfen sogar weniger als Medien! Wenn private Accounts die Bilder ohne Verpixelung veröffentlichen, dann ist das noch eher unzulässig als bei den Medien. Da es sich bei der Veröffentlichung auf sozialen Medien meiner Meinung nach noch nicht einmal um eine Berichterstattung zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis handelt, sondern um Beiträge, die nur darauf abzielen, die Personen, deren Umfeld und Arbeitgeber unter Druck zu setzen, sind solche Veröffentlichungen schlicht unzulässig.

Viele Internetnutzer haben zudem eifrig nicht nur den Namen der Beteiligten, sondern auch andere persönliche Daten der Sylt-Sänger zusammengestellt, um diese zu identifizieren und Arbeitgeber und Universitäten, die Kontakt zu diesen Beteiligten haben beziehungsweise diese beschäftigen, unter Druck zu setzen.

Was für eine Strafe droht den Personen hinter diesen Accounts?

Brennecke: Eine solche Veröffentlichung von Datensätzen ist mittlerweile als sogenanntes Doxing nach Paragraph 126a StGB strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft. Ich kann den Personen, die auf dem Sylt-Video unverpixelt gezeigt werden und deren persönliche Daten veröffentlicht wurden, nur empfehlen, sich dagegen mit allen Mitteln des Rechtsstaats, auch mit Strafanzeigen, zu wehren.

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Dr. Carsten Brennecke, Jahrgang 1975, ist Rechtsanwalt für Presserecht bei der Kanzlei HÖCKER Rechtsanwälte.

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