Buchrezension: Buchrezension Was ist rechts und wie viele?

Daß die letzte gehaltvolle Feuilleton-Debatte über die Fragen „What’s left, what’s right“, angeregt durch Beiträge in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, bereits vor etwa drei Jahrzehnten stattfand, wird niemanden verwundern. Alles, was mit rechten Weltbildern und rechter Gesinnung zu tun hat, wird seither wahlweise entweder als Ausdruck einer veralteten politischen Gesäßgeographie abgetan oder sogar, in klar diffamierender Absicht, mit rechtsradikal, rechtsextrem oder neonazistisch gleichgesetzt.

Staatliche Subventionstöpfe in beachtlicher Höhe fördern entsprechende Kampagnen, die die wahre Demokratie gern mit der Ausgrenzung Andersdenkender identifizieren. Vor diesem Hintergrund ist man dem Kölner Rechtsanwalt und Buchautor Klaus Kunze dankbar, daß er fundiert Bestandteile eines rechten Weltbildes aufzeigt. Dies gelingt ihm klar und deutlich. Es existieren Typen von Menschen, Gruppen und Handlungen, denen epochenübergreifende Strukturen anhaften. Manche machen sogar spezifische Ontologien aus. Man hat daher naheliegenderweise von einer „ewigen Linken“ (Ernst Nolte) gesprochen, der man einen „ewigen Konservatismus“ zur Seite stellen kann.

Kunze läßt, wie in früheren Schriften, keinen Zweifel, welche Konturen das von ihm vertretene Weltbild besitzt. Er steht in einer langen Traditionslinie von Denkern, die bis in die Antike zurückreicht. Sie machen das Konkrete vor dem Abstrakten stark, die wissenschaftlich-rationale Absicht vor moralistischer Ideologie und metaphysischer Fremdbestimmtheit, die Liebe zum Schönen, Geordneten, Harmonischen vor der Auflösung aller kanonischen Vorgaben, die Wertschätzung echter Vielfalt, vor allem der Völker, vor multikulturell-globalistischem Einheitsbrei, die geschichtliche Verwurzelung vor utopistischen Zielsetzungen und die Dezision vor der Flut sekundärer Diskurse.

Ein großer Adler breitet seine Schwingen aus und fliegt in einen Sonnenuntergang oder -aufgang. Auf dem Buchcover von: Klaus Kunze: Das rechte Weltbild.
Klaus Kunze: Das rechte Weltbild. 220 Seiten, Lindenbaum-Verlag, Jetzt im JF-Buchdienst bestellen

Der Bogen läßt sich von Epikur bis Nietzsche schlagen

Mit dieser Absicht wird deutlich, wer zu Kunzes Vorläufern zählt: Der Bogen läßt sich von einem antiken Weisen wie Epikur über die spätmittelalterlichen Nominalisten bis zu Vertretern neuzeitlicher Philosophie wie Schopenhauer und Nietzsche schlagen. Im 20. Jahrhundert sind es vor allem Autoren wie Carl Schmitt, Armin Mohler, Arnold Gehlen, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Helmut Schelsky und Panajotis Kondylis, die ein ähnliches Anliegen wie Kunze verfolgten.

Die grundlegenden Erkenntnisse der genannten Wissenschaftler lassen sich in jeder neuen Epoche fortschreiben. Manchmal verblüffen die Traditionslinien der gegnerischen Richtung: Weckte einst das Proletariat Hoffnungen, als Subjekt von Revolution und innerweltlicher Erlösung in Erscheinung zu treten, so nahm diese Rolle in den 1960er und 1970er Jahren der aktive Teil der Studentenschaft wahr, der sich auf seiten der extremen Linken betätigte. Deren Wirken wurde als neue „Priesterherrschaft“ (Schelsky) dechiffriert. Die heutige „Klimajugend“ und die LGBTQ-Bewegten lassen sich als die vorerst letzte Metamorphose einer langen Entwicklungslinie begreifen.

Kunze erörtert fundiert ein eigenständiges rechtes Weltbild. Er exponiert als dessen Eckpfeiler die stark anthropologisch grundierten Faktoren Freiheit, Identität und Selbstbehauptung. Keinesfalls betrachtet er den Konservatismus nur als Reaktion auf neuzeitliche Geistesströmungen und ihre bekannten politischen Konsequenzen. Ebenso verweist er mit Verve darauf, daß zentrale Bestandteile (neo-)nationalsozialistischer Doktrin wie die Verabsolutierung von Biologie, Rasse oder Nation nicht einmal ansatzweise etwas mit „rechtem Denken“ zu tun hätten.

Der NS war nicht rechts

Dieses ermangele zwingend so genannter höchster Werte, was immer man sich darunter vorstellt. Den Schutz menschlicher Würde sieht er sogar als rechtes Herzensanliegen. Lesenswert ist auch Kunzes Typologie konservativer Vertreter, die von Liberal-Konservativen bis zu Metaphysikern reicht. Letztere nimmt der Autor in besonderer Weise aufs Korn. Damit reiht er sich in den Hauptstrom des neuzeitlich-„nachmetaphysischen“ Denkens ein, als deren wohl wichtigster Gegenwartsrepräsentant Jürgen Habermas gilt.

Daß metaphysische Theoreme immer schon Stachel im Fleisch empirisch-positivistischer Weltsicht waren, sollte nicht dazu führen, sie vorschnell zu verwerfen. Im Prinzip sind wir heute nicht weiter als Kant, der die Fragen nach dem Grund der Wirklichkeit zwar als unbeantwortbar, aber auch als unabweisbar für den menschlichen Verstand herausgestellt hatte. Insofern hätte es der wichtigen Studie gutgetan, wenn der Autor diese Thematik weniger emotional angegangen wäre.

Ebenso schießt er weit übers Ziel hinaus, wenn er einen undifferenzierten Bogen vom angeblich mittelalterlichen Glaubenswahn zum Rassen- und Klassenhaß des letzten Jahrhunderts spannt. Kein Gedankengebäude kann auf einen mentalen Überbau verzichten, der auch die Sinndimension impliziert. Über dessen Inhalt läßt sich stets trefflich streiten. Hier wäre ein intensiveres Nachdenken geboten – gerade im Kontext künftiger Projekte.

JF 39/24 

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