Hubert Zimmermann ist als Politikwissenschaftler ein ausgewiesener Experte für den Bereich Internationale Beziehungen. Zuschauern des Senders Phoenix mag der 59jährige Professor an der Universität Marburg als Experte für internationale Politik bekannt sein.
Im Sommer 2023 erschien in der Hamburger Edition sein Werk „Militärische Missionen“, das die oft umstrittenen Rechtfertigungen bewaffneter Auslandseinsätze in Geschichte und Gegenwart beleuchtet. Der Versuch, für dieses nur schwer einzugrenzende Gebiet erstmals einen Überblick zu verschaffen, kann nur begrüßt werden. Das Buch richtet sich nicht nur an ein Fachpublikum, sondern überhaupt an geschichtlich und politisch interessierte Leser. Auf 488 Seiten inklusive 27 Seiten Literaturangaben gibt es einen Überblick, ohne jedoch das Thema zu erschöpfen.
So beschränkt Zimmermann sich im zweiten und spezielleren Teil des Buches, das militärische Auslandsinterventionen bestimmter Länder detailliert betrachtet, auf drei Länder, nämlich die USA, Deutschland und Frankreich. Leider fehlt etwa die Betrachtung russischer oder britischer Interventionen. Im ersten, allgemeineren Teil des Buches geht es um eine begriffliche und inhaltliche Abgrenzung, die Motivationen und die Rechtfertigungen von militärischen Auslandsinterventionen sowie um die geschichtliche Einordnung von der Zeit der Kreuzzüge bis in die Gegenwart.
Afghanistan ist kein klassischer Krieg
Beim Lesen werden auch Erinnerungen an die Einordnungsversuche deutscher Auslandseinsätze in jüngerer Zeit wach. So kommt Zimmermann gleich zu Anfang auf die Benennung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr zu sprechen, der zunächst als „Stabilisierungseinsatz“ bezeichnet wurde, bis der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von „kriegsähnlichen Zuständen“ sprach, die umgangssprachlich auch als „Krieg“ bezeichnet werden dürften. Zimmermann erinnert zudem an die völlig entgrenzende Aussage des vorher amtierenden Verteidigungsministers Peter Struck, daß die Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt werde.
Im Sinne des Autors handelt es sich beim Afghanistan-Einsatz trotz Opfern nicht um einen Krieg, sondern um eine militärische Auslandsintervention. Im Unterschied zum klassischen Krieg gehe es bei dieser nicht um Eroberung eines Landes oder Verteidigung von Landesgrenzen, und eine formelle Kriegserklärung fehle ganz.
Dazu seien Interventionen meist multilateral autorisiert, und nicht selten geschähen sie auch auf Wunsch des betreffenden Landes. Zimmermann gibt zu, daß diese Abgrenzungen oft unscharf bleiben und daß eine militärische Intervention auch das Risiko beinhalte, sich zu einem klassischen Krieg zu entwickeln, wie das Beispiel der US-amerikanischen Intervention in Vietnam zeige.
Carl Schmitts Kritik wird aufgegriffen
Die Rechtfertigungen von militärischen Interventionen erläutert Zimmermann in ihrer widersprüchlichen Vielfalt mit einer angenehm skeptischen Grundierung. Dargelegt wird, daß die Rechtfertigungen sich in der Geschichte meistens auf behauptete universelle Werte berufen. Der Autor zeigt an vielen Beispielen, wie die Argumente für oder gegen solche Interventionen im Spannungsfeld von verletzter nationaler Souveränität und vermeintlich global geltenden Werten liegen.
Bei den Befürwortern militärischer Interventionen hebt er die Idee einer gegenseitigen Schutzverantwortung hervor. Hierbei wird gedanklich ein in einer Weltgesellschaft global geltender Wertekanon aus liberalen Freiheitsrechten und humanistischen Menschenrechten im postnationalen Sinne vorausgesetzt, der seinem Anspruch nach prinzipiell über staatlicher Souveränität steht.
Bei den Kritikern von Interventionen führt Zimmermann die Argumentationen der Philosophen Immanuel Kant und John Stuart Mill an, die im Sinne nationaler Souveränität die Freiheit von Kollektiven hervorheben, ihre eigenen Herrschaftsstrukturen zu bilden. Auch scheut er sich nicht, die Kritik von konservativer Seite aufzugreifen, wie etwa jene des Staatsrechtlers Carl Schmitt, daß ein im Namen der Menschlichkeit geführter Krieg „nur ein universelles Konzept gegen seinen Gegner instrumentalisiert“.
Mit dem Motto „Nie wieder Auschwitz“ wurde bombardiert
Diese grundlegende Kritik, daß sich nämlich hinter vorgeblich humanitären Argumenten in Wahrheit ein Machtanspruch imperialer Zentren verberge, wird nicht nur von einer politischen Rechten vertreten. Und so gab es in der Geschichte immer wieder Zeiten, die mehr auf der Seite eines Interventionsverbotes standen, sowie Zeiten, die mehr auf Interventionsgebote setzten.
Deutschland begann sich in jüngerer Zeit erst nach der Wiedervereinigung Schritt für Schritt verstärkt an militärischen Interventionen zu beteiligen. Hier verknüpft Zimmermann die im Vergleich zu anderen Ländern in geradezu charakteristischer Weise abweichenden Haltungen zutreffend mit dem identitätspolitischen Diskurs und dessen Fixierung auf die NS-Zeit. Dabei geht es auch um die Grünen und ihren außenpolitischen Lautsprecher Joschka Fischer, der 1999 das militärische Eingreifen im Kosovo-Konflikt gegen Serbien forderte.
Nach dem Motto „Nie wieder Auschwitz“ sollte bombardiert werden. Dabei gab es ja auch ein zweites Credo, das da lautete: „Nie wieder Krieg!“ Ein linker Konflikt zwischen zwei Prinzipien also, mit einer aggressiven Farbbeutelattacke beim Grünen-Parteitag auf Fischer als Kollateralschaden. Zimmermann zitiert den damaligen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der die linke „Purifizierung Deutschlands“ durch einen „nachgeholten Krieg gegen Adolf Hitler“ scharf kritisierte.
Es ist ein bereicherndes Werk
Den aktuellen Krieg in der Ukraine reißt der Autor nur kurz an und identifiziert dabei den Kern der Debatte in Deutschland um Waffenlieferungen wieder als ureigenen identitätspolitischen Konflikt. Leider wird nicht erörtert, inwieweit die Entsendung von US-Militärberatern in die Ukraine seit 2014 als eine militärische Intervention gewertet werden kann.
Schließlich identifiziert Zimmermann als These vier Lager, zwei für und zwei gegen militärische Interventionen, wobei die jeweiligen Seiten einmal politisch rechts und einmal links zu verorten seien. Für Interventionen stehe von rechter Seite das Denken in Bündnissen „kollektiver Sicherheit“ und von linker Seite eine „kosmopolitisch-humanitäre“ Vorstellung.
Der Antiinterventionismus sei von rechter Seite „realistisch, nationalistisch und ethnisch motiviert“ und von linker Seite als „national orientierter Pazifismus“ zu verstehen. Ob das der Weisheit letzter Schluß ist, bleibt dahingestellt. Dieses Werk ist aber in der Sache bereichernd und eine empfehlenswerte Lektüre. Zimmermann schreibt flott und in meist unprätentiöser Tonlage. Ein Dutzend Sprachunfälle in Form des Genderns von Pluralformen mit Doppelpunkt sind vermutlich nicht dem Autor anzulasten.
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Quellenlink : Buchrezension: Buchrezension Militärische Interventionen und ihre kleinen Unterschiede