Bildungspolitik: Bildungspolitik Neutralität an Schulen – Bleistift, Maulkorb, Geodreieck

Die Diskussionen über Meinungsfreiheit an deutschen Schulen haben in den vergangenen Monaten wieder Fahrt aufgenommen. Seit Ende der siebziger Jahre stellte der sogenannte Beutelsbacher Konsens so etwas wie die Leitlinie einer demokratischen politischen Bildung dar, nachdem insbesondere durch die 68er-Unruhen eine Debatte über die Neutralitätspflicht von Lehrern entstanden war.

Wichtigster Bestandteil der Deklaration, die auf Betreiben der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zustande kam, war dabei das sogenannte Überwältigungsverbot. Demnach ist es nicht erlaubt, Schüler mit welchen Mitteln auch immer im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern“. Hier verlaufe nämlich die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber sei unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft „und der rundum akzeptierten Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers“.

Glaubt man einer aktuellen Studie, dann ist von diesem hehren Prinzip indes nicht mehr viel übrig – insgesamt 33 Prozent der Schüler in Deutschland verspüren demnach eine große Unsicherheit darüber, was sie im Klassenzimmer überhaupt noch sagen dürfen und was nicht. Jeder fünfte äußert gar, dem Lehrer keine ehrlichen Fragen mehr stellen zu können. Die „Gerechtigkeitsstudie“ erscheint einmal jährlich und wird vom Pharmakonzern Bayer in Auftrag gegeben. Die hohen Mißtrauenswerte bei vielen Jugendlichen spiegelten sich auch in ihrem Verhältnis zur Politik, wie der Studienleiter, der Erziehungswissenschaftler Holger Ziegler erläuterte: „In ihrer Wahrnehmung sind sie von der Politik ungesehen und ungehört.“

AfD warnt vor einem „Überwachungsstaat“

Dabei korreliere die Anzahl der Schüler, die mit der Meinungsfreiheit an ihrer Schule unzufrieden sind, mit der Anzahl derer, die der Demokratie in Deutschland ein schlechtes Zeugnis ausstellen. 78 Prozent der Jugendlichen seien der Überzeugung, keinen Einfluß auf die Politik zu haben. 72 Prozent dächten gar, Politiker interessierten sich nicht für sie. 57 Prozent der Jugendlichen zweifelten sogar am Willen von Politikern, Probleme überhaupt lösen zu wollen.

Wie reagieren die derart angezählten Verantwortungsträger auf die Vorwürfe? Im März erst kam es im Deutschen Bundestag zu einem erbitterten Schlagabtausch zwischen der AfD und allen anderen Fraktionen. Anlaß der aktuellen Stunde war ein Polizeieinsatz an einem Gymnasium in Ribnitz-Damgarten, bei dem es um Inhalte in den sozialen Medien ging.

Die AfD warnte während der Plenardebatte vor einem „Überwachungsstaat“. Die Beamten waren wegen des Verdachts gerufen worden, eine 16jährige habe möglicherweise staatsschutzrelevante Inhalte über Social-Media-Kanäle verbreitet. Informiert wurde die Polizei vom Schulleiter, dieser hatte zuvor eine anonyme Mail erhalten.

Wenn „rechts“ kommt, muß „Neutralität“ gehen

Obwohl sich der Vorfall nicht gänzlich aufklären ließ, war die rot-rote-Landesregierung in Schwerin unmittelbar danach voll des Lobes für die Schulleitung. „Es gibt keine Neutralität gegenüber den Regeln und Werten unseres Grundgesetzes oder des demokratischen Rechtsstaates. Wer sich neutral verhält, wenn rechtsextreme Codes und Parolen verbreitet werden, der ist eben nicht neutral, sondern macht sich zum Steigbügelhalter der Feinde unserer Verfassung“, verteidigte der SPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Julian Barlen, seinerzeit das Vorgehen der Regierung von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD).

In bemerkenswerter Offenheit brachte diese einen Antrag ein, in dem es hieß: „Schule ist nicht neutral, sondern gebunden an die Werte von Grundgesetz und Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Positionen oder Verhaltensweisen, die diesen Werten widersprechen oder diese angreifen, sind deshalb auch nicht neutral zu behandeln.“

Es gab in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder Beispiele, in denen die Neutralitätspflicht an Schulen offenbar mißachtet wurde. In bemerkenswerter Nachsichtigkeit wurde Schulschwänzen nicht verfolgt, wenn sich die abgängigen Schüler an den Klimaprotesten von „Fridays for Future“ beteiligt haben.

Berliner Lehrer riet Schülern zum Klimastreik

Deutschlandweite Aufmerksamkeit erregte beispielsweise der Fall eines Berliner Lehrers, der seiner Klasse die Teilnahme an einer Demonstration von „Fridays for Future“ nahegelegte. Er hatte an seine Schüler und deren Eltern geschrieben: „Falls am Freitag am globalen Klimastreik teilgenommen wird, dann finde ich das persönlich sehr löblich“. Er bitte lediglich darum, daß ein Zettel mit Unterschrift der Eltern abgegeben werde, „damit wir Bescheid wissen“. Zudem schickte er einen Link zum Demoaufruf in der E-Mail mit.

Der Lehrerverband kritisierte anschließend zwar die Art und Weise des Vorgehens, plädierte aber für Nachsicht und Milde bei möglichen Strafen. Gleichzeitig hatte der Verband immer wieder das Vorgehen der AfD kritisiert, die ihrerseits wiederum Schüler dazu aufgerufen hatte, Verstöße gegen die Neutralitätspflicht auf Meldeportalen anzuzeigen. So startete die AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft bereits 2018 die Online-Aktion „Neutrale Schulen Hamburg“. Auch die AfD-Landtagsfraktion in Niedersachsen hatte unlängst ein ähnliches Infoportal gestartet, weil sie die parteipolitische Neutralität an Schulen als gefährdet erachtete.

Der Landtagsabgeordnete Harm Rykena (AfD), selbst Grundschullehrer von Beruf und ehemaliger Konrektor, kritisierte etwa, daß Schulleitungen zu Demonstrationen gegen seine Partei aufgerufen hätten. Er monierte zudem, daß die Partei häufig nicht zu Podiumsdiskussionen an Schulen eingeladen werde. „Das gesellschaftliche Klima auch in Niedersachsen verschärft sich zunehmend. Staatlich inszenierte Kampagnen wie eine frei erfundene Wannseekonferenz, tägliche Hetze in den Medien gegen die AfD sowie Staatsdemonstrationen gegen rechts spalten unser Miteinander zusehends“, hieß es dazu in einer Mitteilung.

 In Bayreuth gab es eine Eins für Demoteilnahme

In der Tat hatte es zuvor mehrere Berichte darüber gegeben, daß Lehrer den Unterricht dazu nutzten, über die vom linken Portal „Correctiv“ als „Potsdamer Geheimtreffen“ bezeichnete Zusammenkunft rechter Politiker und Influencer zu sprechen und zur Teilnahme an „zivilgesellschaftlichen“ Demonstrationen aufzurufen. Das konservative Medium Nius berichtete in diesem Zusammenhang von einem Fall aus Bayreuth, wo ein Politiklehrer aus der Oberstufe die Schüler gefragt habe, wer am Montag auf der Anti-AfD-Demo gewesen sei.

Den entsprechenden Schülern habe er dann eine Eins eingetragen. Auf Nachfrage der Journalisten hatte die Schulleitung damals eine Auskunft verweigert, den Vorfall aber auch nicht geleugnet. Zudem sei an einer Schule in Braunschweig ein Mailverteiler verwendet worden, um für einen Fototermin unter dem Motto „Menschenrecht statt rechte Menschen“ zu werben.

„Lehrkräfte müssen nicht neutral verhalten“

Die traditionell linke Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ fand an diesen Fällen nichts Anstößiges. Sie ereiferte sich lieber über die AfD. Die Partei versuche, „kritische Lehrkräfte“ einzuschüchtern.

„Demokratiebildung ist zentraler Bestandteil des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule. Die Landesschulgesetze beschreiben die Ziele. Lehrkräfte sollen demokratische Werte wie Würde und Gleichheit aller Menschen, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität vermitteln. Wenn es in der Schule um politische Bildung geht, müssen sich Lehrkräfte nicht neutral verhalten“, betonte die Gewerkschaft. Damit läßt sie die Katze aus dem Sack: Lehrkräfte müßten eine klare Haltung zum Beispiel gegen Rechtsextremismus zeigen – fragt sich nur, wer definiert, was Rechtsextremismus bedeutet.

JF 31+32/24

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