AutobiographieKai Diekmann: „Ich bin viele“

In der Redaktion dieser Zeitung hing jahrelang an einer Magnettafel ein Zettel mit einem Zitat von Kai Diekmann: „Qualität kommt von quälen. Und das erwarte ich von uns. Jeden Tag, immer wieder.“ Die Drohbotschaft stammt aus einer E-Mail mit einigen „grundsätzlichen Überlegungen“, die Ende 2004 der damalige Bild-Chefredakteur vor dem Hintergrund sinkender Auflagenzahlen seinen Mitarbeitern per E-Mail verkündet hatte. In dem Schreiben hieß es auch: „Wer bei anderen abschreibt und dabei nicht mal in der Lage ist, Namen oder Fakten richtig abzuschreiben, gehört nicht zu Bild!“

Nun, haarscharf daneben ist auch vorbei. Tatsächlich lautet das Originalzitat „Qualität kommt von Qual“ und es geht zurück auf Wolf Schneider, den Doyen als Ausbilder ganzer Journalistengenerationen. Der Spruch war im Eingang der Henri-Nannen-Schule in Hamburg, die Schneider seit ihrer Gründung 1979 16 Jahre lang leitete, als Lehrsatz in Stein gemeißelt. O-Ton des Sprachpapstes Schneider: „Wenn du etwas hingeschrieben hast, so wage nicht, es gut zu finden, bloß weil es von dir ist! Wenn die Zeit irgend reicht, dann nutze die Einsicht, daß die Plage nun erst beginnt: nämlich an dem Text zu feilen, so lange, bis er sein Optimum erreicht hat.“

Kai Diekmann, von Januar 2001 bis Anfang 2017 der am längsten amtierende Bild-Chef, hat nach eigener Auskunft zwei Jahre lang an seiner soeben erschienenen Autobiographie „Ich war Bild“ gefeilt. In den Dankesworten heißt es dazu, daß es diese Memoiren ohne seine Ehefrau Katja Kessler, eine ehemalige Bild-Kolumnistin und erfolgreiche Buchautorin, nicht geben würde. „Tatsächlich hat sie mein Polit-Kauderwelsch gnadenlos zusammengestrichen und für Nicht-Insider lesbar gemacht.“ Und um es vorwegzunehmen: Sie hat diesen Job bravourös gemeistert! Diekmanns Buch ist, jenseits inhaltlicher Werturteile, flott zu lesen, es langweilt den Leser keine einzige Minute! Minuspunkt: Es fehlt ein Personenregister.

Ein 540 Seiten dicker Wälzer voller Bild-Anekdoten

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In dem gut 540 Seiten dicken Wälzer hat Diekmann, gestützt auf Tagebuchnotizen, Gesprächs-aufzeichnungen, Briefe, Dokumente und Fotos, selektive Erinnerungen an seine Amtszeit gebündelt – weshalb die Gegenwart, wie beispielsweise das derzeitige Rumoren im Verlagshaus Springer, auch konsequent ausgespart bleibt.

Statt dessen erzählt er unter anderem von den Umständen des Rücktritts von Bundespräsident Christian Wulff, der Abhöraffäre rund um Bild-Kritiker Günter Wallraff, seiner tiefen Freundschaft zu Helmut Kohl, dessen Trauzeuge er war, der großen Flüchtlingskrise von 2015 und der Politik Angela Merkels, Begegnungen mit Gerhard Schröder, Erdoğan und Putin und Donald Trump, den Diekmann im Januar 2017 als bisher einziger deutschsprachiger Journalist interviewen konnte.

Ein Kapitel ist Diekmanns wechselhaftem Verhältnis zur linken taz gewidmet, die er 2002 wegen eines Satirebeitrags über seinen Penis verklagte, um 2009 ihr Miteigentümer in deren Verlagsgenossenschaft zu werden, ein anderes handelt von allerlei Stars und Sternchen („Die ganze Wahrheit über meine Lieblings-Promis“), ein weiteres von dem Brandanschlag auf sein Familienauto („Im Visier der Extremisten“).

Diekmann wollte kein „Krawallheini“ sein

Alle diese Geschichten habe er jedoch nicht nur aus der Perspektive des unbeteiligten Chronisten erzählen wollen, bekundet der Autor in seinem Nachwort. „Ich habe den Geschichten Kai Diekmann hinzugefügt. Was ich gedacht, was ich gefühlt habe, was mich bewegt hat, wenn wir uns für Schlagzeilen entschieden, die das Leben anderer Menschen auf den Kopf stellten – oder ich selbst unfreiwillig in die Schlagzeilen geriet.“ Nicht zu Unrecht meinte die Neue Zürcher Zeitung vorige Woche in einer Besprechung, Diekmanns Memoiren seien wohl auch „ein Schrei nach Liebe“.

Daß Diekmann nicht immer und nicht nur der „Krawallheini“ (Eigenbezeichnung) sein will, sondern auch Anschluß an rot-grüne Milieus sucht, wird besonders deutlich in den Passagen zum Flüchtlingszustrom. Darin widerspricht er dem Diktum des „Tagesthemen“-Moderators Hanns-Joachim Friedrichs, gute Journalisten sollten Distanz wahren, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten. Diekmann: „Alles ist falsch an diesem Satz, so sehe ich das.“

Kritik an Merkel? Fehlanzeige!

Der Bild-Chef nimmt in seine Gästewohnung einen 35jährigen Mann aus Syrien und seine zwei Kinder auf, drei und acht Jahre alt. Die Ehefrau und Mutter ist auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Die Bild-Redaktion wird von einem „Tsunami der Empathie“ geflutet, schreibt Diekmann. „Erleichtert stelle ich fest: Ich bin offenbar viele.“ Daraufhin startet das Blatt die Kampagne „Wir helfen – Refugees Welcome“, räumt dafür die gesamte Titelseite frei.

Kein Wort in diesem Kapitel über die Messerangriffe von Flüchtlingen mit zahlreichen Todesopfern infolge der verfehlten Migrationspolitik, kein Wort über die Opfer von Überfällen und Vergewaltigungen, statt dessen schreibt Diekmann noch aus heutiger Perspektive: Die Entscheidung Angela Merkels, 2015 Hunderttausende Flüchtlinge ins Land zu lassen, „ist aus meiner Sicht völlig alternativlos gewesen“. Ach herrje, will er in all den Jahren denn wirklich nichts dazugelernt haben?

JF 21/23

Quellenlink : AutobiographieKai Diekmann: „Ich bin viele“