Aktuelle Stunde im PlenumHäufige Messerattacken sorgen für hitzige Debatte im NRW-Landtag

„Tödliche Gefahren durch Messerattacken – welche weiteren Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen?“ – so lautete das Thema einer Aktuellen Stunde, mit der die Plenarsitzung des nordrhein-westfälischen Landtags am Freitag in Düsseldorf eröffnet wurde. Beantragt hatte sie die SPD-Fraktion. Und deren Abgeordneter Andreas Bialas begann seine Rede mit der Aufzählung aller Messerangriffe in NRW am vergangenen Wochenende. „Eine nie dagewesene unfaßbare Blutspur zieht sich durchs Land“, sagte er und sprach vom „Messerwahnsinn“ sowie von „rasant steigenden“ Messerattacken. „Die Bürger wollen Antworten“, forderte er. „So ein blutiges Wochenende darf es nicht noch mal geben.“

Als geeignete Gegenmaßnahmen schlug der Wuppertaler Abgeordnete die Ausweitung der Waffenverbotszonen, Messerverbote an öffentlichen Plätzen sowie deren verstärkte Überwachung vor. Bei der Frage nach den Tätergruppen dieses relativ neuen Phänomens hielt sich der SPD-MdL jedoch stark zurück. Hier benutzte er die Umschreibung „gesellschaftlich marginalisierter Personen, die auffällig sind“. Dabei fiel jedoch auf, daß Bialas deswegen eine Aufstockung der polizeilichen Kontaktbeamten forderte. Was deren Funktion ist, erläuterte er aber nicht. Als Kontaktbeamte werden in NRW Polizisten bezeichnet, die für die Kommunikation der Polizeidienststellen mit örtlichen islamischen Gemeinden zuständig sind.

„Daß ausgerechnet die SPD das Thema Messerattacken für sich entdeckt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie“, spottete daraufhin der CDU-Abgeordnete Gregor Golland. „Das ist ja nah am Populismus. In welchen Reihen wollen Sie hier eigentlich fischen?“. Golland räumte ein, daß jeder Messerangriff „natürlich einer zuviel ist“. Insgesamt aber verteidigte er die Maßnahmen der Landesregierung. „Wir werden unsere erfolgreiche und konsequente Null-Toleranz-Politik fortsetzen.“

„Die Zahl ist eine Anklage für sich“

Das aber bezweifelte der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marc Lürbke. Er verwies darauf, daß es in NRW zuletzt 4.191 solcher Angriffe dieser Art pro Jahr gegeben habe. „Das sind zwölf pro Tag“, sagte er. „Die Zahl ist eine Anklage für sich.“ Waffenverbotszonen bezeichnete er als „hilflosen Versuch“, der Messerkriminalität „mit dem deutschen Schilderwald zu begegnen“. Lürbke forderte eine „Präventionsoffensive“ in den Schulen „und ja, auch in den Unterkünften für Geflüchtete“. Außerdem forderte er schnelle Strafen für Personen, die mit einem Messer angetroffen werden: „Wer am Wochenende in NRW Messer mitführt, der muß am Montag beim Richter sitzen.“ Nach Ansicht des FDP-Politikers seien dann „empfindliche Geldstrafen von mehreren Hundert Euro“ angemessen.

Eine andere Richtung nahm die Debatte, als sich Julia Höller zu Wort meldete. Der Antragstext der SPD sei „ziemlich plump“, befand die innenpolitische Sprecherin der Grünen. „Lassen Sie uns mal versuchen, zu differenzieren.“ So könne sie zwar das von der SPD aufgeführte Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung „super-gut nachvollziehen“. Auch müsse dies „ernst genommen werden“. Dennoch dürften Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung „nicht weiter verschärft“ werden. Höller lobte die „klugen und sachlichen Debatten“ im Innenausschuß dazu, machte aber bei der AfD-Fraktion eine Ausnahme. Dieser unterstellte sie „niedrige Motive“, da sie das Thema für Debatten über Abschiebungen sowie dazu nutze, „rassistisches Gedankengut zu plazieren“. Als Ursachen für die steigende Zahl der Messerangriffe nannte die Grüne „soziale Ungleichheit“, „Männlichkeitsgehabe“ sowie „patriarchalische Vorstellungen von Männlichkeit“.

„Bloß nicht sagen, was ist“

Damit wirkte ihre Rede fast wie ein Stichwort für den AfD-Fraktionsvorsitzenden Markus Wagner, der sofort den überproportionalen Anteil nicht-deutscher Staatsangehöriger sowie Asylbewerber an den Messerangriffen thematisierte: „Es ist häufig dasselbe Muster; ein Flüchtling ohne Bleiberecht, der von Stütze lebt.“ Dann kritisierte Wagner intransparente Polizeimeldungen, die die Nationalität der Tatverdächtigen bei Messerattacken zumeist verschweigen würden.

Er erinnerte daran, daß auch Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) sowie die Polizeigewerkschaften der Forderung nach Nennung der Herkunft solcher Tatverdächtigen zugestimmt hätten. „Bloß nicht sagen, was ist“, kritisierte er mehrfach. Auch kritisierte der AfD-Politiker öffentlich-rechtliche Medien, die in diesem Kontext immer nur von „Männern“ oder „Männergruppen“ sprechen würden: „Objektive Berichterstattung geht anders.“

Für die Landesregierung sprach bei dieser Debatte Herbert Reul. „So kommen wir nicht weiter“, sagte der Innenminister direkt an Andreas Bialas gerichtet und bezeichnete den Sprachgebrauch der Debatte als „Klamauk“. Der CDU-Politiker betonte zwar immer wieder, daß jeder Messerangriff und insbesondere jeder tödliche „einer zuviel“ sei. Mit Verweisen auf die rückläufige Anzahl solcher Attacken sowie der hohen Aufklärungsquote dazu geriet Reuls Rede jedoch zu einer Relativierung. Dies zeigte sich insbesondere, als er die von Marc Lürbke genannte Zahl von 4.191 jährlichen Messerangriffen aufgriff, um darauf zu verweisen, daß es dabei nur 26 Tote gegeben habe.

Im Sommer wieder mehr Messerattacken?

„Wenn es kompliziert ist, gibt es keine einfache Antwort“, fuhr Reul fort. „Es ist ein ernstes Problem, das aber nicht größer, sondern kleiner wird.“ Gleichzeitig aber räumte der CDU-Politiker ein, daß die Zahl der Messerattacken mit steigenden Temperaturen in nächster Zukunft wieder in die Höhe gehen könnte. Mehrfach forderte er, bei der Debatte darüber auf mehr „Differenzierung“ zu achten. Damit blieb der bei Konservativen beliebte Innenminister, wie bereits bei entsprechenden Debatten im Innenausschuß dazu, erneut vage und unverbindlich. Bei Andreas Bialas stieß das auf keine Zustimmung: „So desorientiert wie heute habe ich Sie noch nie erlebt“, sagte er später in Richtung des Ministers.

Danach verteidigte die SPD-Abgeordnete Elisabeth Müller-Witt die Beantragung der Debatte erneut: „Der heutige Antrag provoziert“, sagte sie. „Aber wir nehmen die Sorgen und Nöte der Bürger ernst.“ Die Ursachen der steigenden Zahl der Messerangriffe verortete Müller-Witt in „falschen Medienvorbildern“ sowie zunehmender Unsicherheiten junger Männer: „Wir müssen genau hinschauen, warum junge Männer diesen Weg gehen.“

Schlagabtausch zwischen Grünen und AfD

Markus Wagner sprach bei seiner zweiten Wortmeldung erneut von der „deutlichen Überproportionalität“ nicht-deutscher Staatsbürger und Asylbewerber bei den Tatverdächtigen. „Viele der Täter wären bei konsequenter Anwendung von Recht und Gesetz gar nicht mehr im Land.“ Zuvor von Julia Höller geäußerte Kritik wies der AfD-Politiker zurück: „Der Täterschutz, den Sie betreiben, der ist menschenfeindlich.“ Zum Ende seiner Rede sprach er Messerangriffe in Bahnhöfen und Zügen an: „Was sagen eigentlich die grünen Autofeinde dazu, die uns in die Bahn zwingen wollen?“ Mit Blick in die Runde sagte Wagner: „Ich habe Ihre Politik satt.“

Als sich Julia Höller nach Wagners Rede ebenfalls ein zweites Mal zu Wort meldete, nahm die Debatte weiter an Schärfe zu. Zuerst richtete die Grüne ihr Wort noch freundlich an Elisabeth Müller-Witt: „Ich möchte Ihnen ja super-gerne glauben. Aber Sie machen sich hier ein hochpopulistisches Wording zu eigen.“

Dann aber ging Höller direkt auf Markus Wagner los und bezeichnete dessen Rede als „ekelhaft und menschenfeindlich“. „Die AfD spielt mit den Ängsten der Bevölkerung“, polterte sie. „Sie diffamieren eine ganze Bevölkerungsgruppe.“ Die AfD-Fraktion reagierte empört und mit lauten Zwischenrufen. Erst als Landtagspräsident André Kuper das Wort ergriff, beruhigte sich die Situation wieder. Einsteigen wollte in den Schlagabtausch zwischen Grünen und AfD aber niemand. Lediglich Andreas Bialas sprach vieldeutig von „Offenbarungseiden“, die „jeder mitgekriegt habe“. In Ermangelung weiterer Wortmeldungen wurde die rund 90minütige Debatte nur wenige Minuten später wieder beendet. (wp)

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